: PDS-Demonstration gegen drohende Enteigung
■ 65.000 kamen zur Protestdemo in den Berliner Lustgarten / Die PDS zwischen Traditionalismus und Erneuerung / Gysi ging geradezu sanft mit der SPD um / Krisensitzung nach der Demo einberufen: PDS will ihre Vermögensverhältnisse noch in dieser Woche offenlegen
Berlin (taz) - Die Demonstration, mit der die PDS am Sonnabend „gegen drohende Enteignung, Liquidierung und Verbot“ protestierte, war groß wie schon lange nicht mehr. Nach Schätzung der Veranstalter waren 65.000 gekommen. Der Versammlungsort, der Lustgarten im alten Berliner Zentrum, war voll von Menschen und DDR-Fahnen. Die Organisatoren der Demonstration hatten versucht, die Isolation der PDS zu durchbrechen und ein möglichst breites Spektrum an Rednern zu gewinnen. Tatsächlich waren es vor allem linke Splittergruppen, die präsent waren, während von Organisationen mit politischem und moralischem Gewicht in der DDR keine offiziellen Vertreter gekommen waren.
„Als einer aus dem Neuen Forum“ sprach Klaus Wolfram. Er erinnerte die PDS-GenossInnen daran, daß „die Enteignung unrechtmäßigen Eigentums der SED und der alten Blockparteien“ eine der ältesten Forderungen der Bürgerrechtsbewegung im Herbst gewesen war. Dabei sei es um direkte Demokratie und die Herstellung von Chancengleichheit gegangen. Jetzt aber passiere etwas ganz anderes: Unter Verletzung der Gewaltenteilung werde „eine Oppositionsgruppe unter Staatsaufsicht“ gestellt. Ein „dumpfes Machtgefühl“, das „Feinde“ brauche, mache sich breit. „Wir wären die nächsten und die Sozialdemokraten, die sich heute so klug vorkommen, wären die übernächsten.“
Der Theologe und Publizist Christoph Dieckmann meinte, die jüngste Maßnahme „zeigt einmal mehr, wie sehr die alte DDR in denen steckt, die jetzt ganz neu sein wollen“. Doch „Regierende, die ihre Opposition ausgrenzen, verdummen sich selbst.“ Von der Grünen Partei sprach Andreas Gehlert. Er erklärte, daß „jetzt (...) wir Linken zusammenstehen (müssen). Streiten können wir danach.“
„Wir können uns keinen neuen 3. Januar leisten“, warnte die Schriftstellerin Helga Königsdorf. Damals hatte die SED-PDS
-im Bündnis mit Liberalen und Bauernpartei - mit einer „antifaschistischen Massendemonstration“ in Berlin-Treptow einen Rückfall in alte Rituale praktiziert, der die Glaubwürdigkeit ihrer Veränderungen zunichte machte. Die Gefahr eines erneuten Rückfalls in die Schablonen einer „Klassenkampfpartei“ ist real. Viele Transparente auf der Demonstration arbeiteten mit solchen Assoziationsketten, stellten den jüngsten Entschluß in den Kontext von 1933 bis 1956. Bei den Rednern waren es vor allem die Vertreter der Splitterparteien, die mit überkommenen Klischees um sich warfen.
Der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi ist sich dieser Gefahr bewußt. Seine Hauptbotschaft für die verunsicherten Parteimitglieder war, sich auf gar keinen Fall in eine sektiererische Ecke drängen zu lassen. „Man will erreichen, daß wir uns von rechtsstaatlichen Methoden entfernen. Wir werden das nicht tun!“ Die SPD behandelte er - zum Unwillen mancher Zuhörer - geradezu mit Samtpfoten. Es sei „traurig“, „daß die SPD sich daran beteiligt“, doch es „wäre ein großer Fehler, würden wir ihr jetzt mit Haß begegnen“. Die PDS wolle auch weiterhin eine „konstruktive demokratische Opposition bleiben“.
Im Anschluß an die Demonstration traten der PDS -Parteivorstand, die Volkskammerfraktion, die Bezirksvorsitzenden und der „Rat der Alten“ zu einer Krisensitzung zusammen. Auf dieser Sitzung erfuhren auch die meisten Anwesenden zum ersten Mal, über welches Eigentum die PDS gegenwärtig noch verfügt. Bisher war immer nur darüber gesprochen worden, was sie alles weggegeben hat. Die Zahlen über die aktuellen Vermögensverhältnisse der PDS sollen - so Rainer Börner (33) vom Parteivorstand gegenüber der taz noch in dieser Woche veröffentlicht werden. Weiterhin will die PDS versuchen, selbst einen unabhängigen Untersuchungsauschuß zu initiieren, für den sie Persönlichkeiten im In- und Ausland gewinnen will, die über jeden Zweifel hinsichtlich einer Voreingenommenheit zu ihren Gunsten erhaben sind, die aber eben auch nicht dem Ministerpräsidenten unterstehen.
ws
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