piwik no script img

Deserteure im Streit der Genossen

Parteivorstand der SPD ruft zur Diskussion über das lange verdrängte Thema der 100.000 deutschen Wehrmacht-Deserteure / Vergangenheitsverdrängung, Reizfiguren und Denkblockaden im militärischen Männerbund  ■  Aus Bonn Bernd Müllender

Die SPD schickt sich an, das sperrige Thema der Fahnenflüchtigen auf ihre Fahnen zu schreiben. „Der unbekannte Deserteur - Provokation oder notwendiger Streit“ hieß das Thema einer Podiumsdiskussion mit regem Publikumszuspruch am Donnerstag in der Bonner SPD -Parteizentrale. Späte Geschichtsbewältigung einer Partei, die der verfolgten und ermordeten Roma, Sinti, Homosexuellen, Linken und Juden zwar immer schon gedachte, aktive Wehrkraftzersetzer in der Nazi-Armee aber gern vergessen hat. Da mußten sich in den letzten fünf Jahren erst zahllose Gruppierungen von unten der Vergessenen annehmen: durch Denkmalsinitiativen (immerhin acht Gedenkstätten „für den Unbekannten Deserteur“ gibt es mittlerweile), durch Buchprojekte (Norbert Haase: „Deutsche Deserteure“) und durch die Arbeit der Reservistenverweigerer der Bundeswehr: „Wir sind die Deserteure von morgen.“

Die Angst, Wehrmacht-Deserteure könnten heutige Verweigerer wegen Nuklearrüstung und Nato-Offensiv-Strategie zur radikalen Nachahmung anregen - jeder Soldat ist ein potentieller Deserteur -, steckt tief und bestimmte auch immer wieder die Bonner SPD-Debatte. Zudem, werfen Unwissende bis heute ein, seien die meisten Deserteure nichts als Angsthasen gewesen, feige Verpisser, die ihre mordenden Kameraden im Stich ließen. Keine Widerständler, sondern ehrlose Vaterlandsverräter, minderwertig, unpolitisch.

Passend die Frage in der Einladung der SPD: War das Desertieren ein „Akt des Widerstandes oder nur Feigheit?“

Heinz Kluncker bekennt: „Auch ich bin desertiert“

„Jeder Deserteur war ein Kriegsverkürzer“, schimpfte denn gleich ein Deserteur im Publikum über diese voreilige SPD -Differenzierung. Es sei doch zweitrangig, aus welchen Motiven sich die nach heutigen Forschungen rund 100.000 Deserteure dem Vernichtungskrieg entzogen haben. „Der Begriff 'feige‘ ist schon feige, weil der Obrigkeitsstaat gerade zur Feigheit erzogen hat.“ Zitternd stand der alte Mann da, aufgewühlt und erregt, wie man es immer wieder erlebt, wenn Deserteure nach Jahren des ängstlichen Schweigens endlich reden.

Genauso typisch ist es, daß heute jede kritische Gruppierung einen Vorzeige-Deserteur aus ihren Reihen aufs Podium plaziert. In Bonn hatte diese Aufgabe Heinz Kluncker übernommen, der nicht als Ex-ÖTV-Chef gekommen war, sondern als „Deserteur des 2. Weltkriegs“. „Ich war Nazi, ich habe an den Quatsch geglaubt“, gab er offen zu, bis er als Soldat kurz vor der Normandie-Invasion zu den Engländern überlief. „Ja, ich gehörte auch zu den Feiglingen, die ihre Pflicht nicht mehr erfüllten.“ 1946, schon kurz nach der Gefangenschaft, trug er wieder Uniform: die des Polizeibeamten. In den 70er Jahren seien Bundeswehroffiziere, erzählt Kluncker, als sie hörten, ihr ÖTV-Chef sei Deserteur gewesen, aus Protest aus der Gewerkschaft ausgetreten.

Reizfigur der Diskussion aber war schnell Brigadegeneral Winfried Vogel: „Die Bundeswehr hat keinerlei Traditionslinien zur Wehrmacht.“ Das provozierte helle Empörung und viele Gegenbeweise, etwa daß sich die Hardthöhe kürzlich noch offiziell brüstete, daß alle ihre führenden Generäle Söhne alter Wehrmachtrecken seien. Vogel: „Das stimmt nicht. Da bin ich doch das beste Gegenbeispiel.“ Vielbelachte Gegenrede: „Es war von führenden Generälen die Rede.“ Bestes Gegenargument: Wenn die Bundeswehr so verbindungslos zur deutschen Armeegeschichte dastünde, dann müßte doch gerade sie sich für Deserteurs-Denkmäler einsetzen. Immerhin konnte sich der General zu der Erkenntnis durchringen: „Je tiefer wir in die Thematik eindringen, desto größer wird mein Respekt für die Deserteure.“

Tiefer eindringen muß auch noch die SPD. Fraktionsvize Horst Ehmke hat überhaupt kein Verständnis für die Erkenntnis heutiger Totalverweigerer, auch Zivildienst sei Kriegsvorbereitung. Zur gleichen Stunde, als vom Landgericht Duisburg (schon in 2. Instanz!) ein Totalverweigerer ein politisches Gewissen zugestanden bekam und sensationell freigesprochen wurde, beharrte der SPD-Hardliner trotzig und empört auf Unvereinbarkeit: „Ich weiß nicht, was Altenpflege mit Krieg zu tun haben soll.“

Das Ungebrochene der Weiterrüstung inclusive Atomraketen, trotz Erosion der Militärblöcke und alter Feindbilder, verteigte Ehmke mit dem famosen Szenario: „Stellen Sie sich vor, ein Verrückter wie Ghaddafi greifft Süditalien an. Was sollen wir dann tun?“

Ein DDR-Totalverweigerer, aus Thüringen angereist, schilderte das Desertieren vieler Gleichgesinnter in der DDR aus der Nationalen Volksarmee, aus dem scheinbar zivileren Dienst der Bausoldaten, berichtete von langjährigem Knast und über das Verschwinden einiger Leute in der Psychiatrie. „Ich kann meinen Freunden drüben keine Hoffnung überbringen, wie die Bundeswehr hier geschont wird und in welchem Stadium die Diskussion hier noch steckt.“

Die Reichswehrstraße

bleibt die Reichswehrstraße

Mit der Aufarbeitung des geschichtlichen Militär-Widerstands fängt die SPD immerhin an. Herta Däubler-Gmelin gab selbstkritisch zu, Deserteure seien für sie vor wenigen Jahren überhaupt noch kein Thema gewesen. Sie trat für eine Anerkennung der Deserteure als Gewissenstäter und für eine späte Entschädigung ein. Daß man schamvoll wegschaue, hätten gerade diese mutigen Widerständler nicht verdient.

Für manche Genossen vor Ort aber gilt noch nicht einmal das: In Dortmund verwarf die SPD kürzlich auf Druck der CDU ihren eigenen Ratsantrag, die „Reichswehrstraße“ auf den Namen eines Dortmunder Deserteurs umzutaufen. Und gerade jetzt hat die entscheidende Stimme eines stramm -konservativen SPD-Ratsherrn im rot-grünen Aachen den Antrag auf ein Deserteur-Denkmal brüsk abgeschmettert. Seine Argumente: Würden Deserteure gesondert geehrt, bestünde „die Gefahr, daß andere Opfer des Faschismus sich vergessen fühlen könnten. Wir dürfen die Toten unter der Erde nicht sortieren“. Viel sinnvoller sei ein allgemeines „Denkmal gegen Intoleranz“, das auch nicht den panisch befürchteten Nachahmer-Effekt heutiger Soldaten in sich birgt: Ein Deserteur-Denkmal „fordert geradezu dazu auf, sich strafbar zu machen. Und ich möchte Sie“, so der Aachener SPD-Rechte väterlich, „davor bewahren, sich einem Verfahren (wegen Aufforderung zu Straftaten) auszusetzen.“ Da ist mancherorts die FDP schon weiter, die in München einem Denkmal für Deserteure zustimmte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen