Das Märchen vom Horror-Professor

■ „Shocker“ oder Es war einmal ein Amerikaner...

Es war einmal ein Amerikaner, der hieß Wes Craven. Er war ein sehr kluger Mann, besaß einen Magister der Philosophie und Literatur und verdiente sein karges Brot als Professor an der John Hopkins Universität zu Cleveland. Eines Tages wurde der Professor furchtbar böse ob der „falschen Nettigkeit“, die ihn umgab. Er schnürte sein Bündel, reiste in das wunderbare Land Hollywood und zauberte ein paar schaurig schöne Filme. Er gab ihnen gruselige Titel wie The Last House on the Left, The Hills Have Eyes oder The Swamp Thing. Aber das alles war dem guten Professor Craven immer noch viel zu nett. So begann er fürs Fernsehen zu arbeiten, und die Titel wurden noch böser: Summer of Fear, Deadly Blessing und Invitation to Hell. Der brave Mann hatte sich mit Haut und Haaren der schwarzen Magie verschrieben.

Aber eines sonnigen Tages Anno Domini 1985 passierte dem Schmuddel-Professor ein törichtes Mißgeschick. Er hatte einen Film mit dem Titel A Nightmare on Elmstreet gebastelt und wurde über Nacht weltberühmt. Und siehe da, das gefiel dem ehemaligen Lehrer der Philosophie, und er sagte zu seinen Bossen: „Seht her, was ein Mann des Geistes zu tun vermag. So gebt mir denn mehr Geld, auf daß mein Ruhm noch heller strahlen möge.“ Also gaben sie ihm das Geld, und der Nightmare-Mann versuchte aus einem wissenschaftlichen Werk des Ethnobiologen Wade Davis, welches die Erforschung der Voodoo-Kultur und ihrer geheimen Drogen zum Inhalt hat, einen Gruselfilm zu machen. Er nannte ihn Die Schlange im Regenbogen. Aber die Magie und der Charme, den der düstere Professor in all seinen früheren Geschichten verbreitet hatte, waren verflogen. Er war ein Profi geworden, ja schlimmer noch: Er war blind geworden, denn er sah den Irrweg nicht, den er da leichten Fußes betreten hatte.

„Spezialeffekte“, rief nun der verrückte Professor, „ich will haufenweise Spezialeffekte!“ Und so drehte er Shocker. Doch der Film hielt nicht, was der Titel versprach. Denn die Mär vom bösen Massenmörder, der selbst den elektrischen Stuhl überlebt, der in die Körper Unschuldiger fährt und später sogar in den Fernseher, die kannten die Zuschauer schon. Und auch die Spezialeffekte, auf die der ehemalige Gruselmeister gesetzt hatte, waren ein uralter Hut. Wo der Film unheimlich sein sollte, war er lächerlich, und wenn ein Witz gemacht wurde, wirkte er albern. Die Fangemeinde im Kinosaal errötete leicht angesichts dieser Fülle von geklauten Ideen.

Aber trotz allem hielt sie ihrem Horror-Professor die Treue. War nicht auch der große John Carpenter im Lande Hollywood verschollen gewesen, und war er nicht zurückgekommen mit einigen famosen, schmutzigen, kleinen Filmen? So verließ das Publikum gebeugten Hauptes den dunklen Vorführraum mit diesem zarten Funken Hoffnung. Und wenn sie nicht gestorben sind...

Karl Wegmann

Wes Craven: Shocker, mit Peter Berg, Michael Murphy, Dr. Timothy Leary; USA 1989, 110 Min.