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Honeymoon und Muttermund

■ Die 44. Biennale Vendig - Auf der Suche nach der Kunst der neunziger Jahre

Andre Meier

Eigentlich hat Venedig die Biennale nicht nötig - die Hotels sind im Sommer ohnehin ausgebucht. Wenn aber trotzdem jedes zweite Jahr der Wanderzirkus Weltkunst in die Lagunenstadt kommt, so nicht zuletzt, um sich selbst zu feiern. Venedig ist die Kulisse, vor der in Länderpavillons und Sonderschauen der vermeintliche Trend markiert und das geadelt werden soll, was aus den Ateliers von Galeristen als Kunst, wenn möglich neue, zusammengetragen wurde. Da geht es ihr, der Kunst, nicht anders als den Tauben. Auf dem San Marco dürfen sie den Touristen aus der Hand fressen, in anderen Städten streut man voller Ekel und aus hygienischen Gründen statt Sonnenblumen Gift. Und da es auf der Welt mehr Künstler als Tauben zu geben scheint, reicht die Biennale allein schon lange nicht mehr aus.

Neben der traditionellen Schau, den von den Länderkommissaren ausgewählten nationalen Beiträgen, veranstaltet man im Arsenal für Artisten unter fünfunddreißig Aperto '90, das Jungkunstspektakel. Mit Ambiente Berlin, einem Sammelsurium von Kunst, das nichts weiter zusammenhält als die Produktionsstätte „Mauerstadt“, sichert sich die Biennale den Zugriff auf das Zeitgeschehen, während mit der Hommage für Eduard Chillida ein italienischer Bildhauer geehrt wird, der schon zu Lebzeiten ins Pantheon der Moderne eingegangen ist. Und auf Wunsch Mitterands präsentiert man im Palazzo Venier das Beste aus vierzig Jahren französischer Biennale-Beteiligung. Aber da auch die jüngere Kunstgeschichte ihr Comeback verdient, ist in den alten Kornspeichern der Serenissima auf der Insel Giudecca die internationale Fluxusgemeinde eingezogen und beschwört in aufwendigen Rekonstruktionen und mit didaktischem Begleitmaterial die Kreativität der verlorenen Jugend. Oh, Yoko - was würde John dazu sagen?

Wer sich nun noch immer nicht ausreichend vertreten fühlt, mietet - wie Markus Lüpertz - eine Galerie im Zentrum der Stadt und bietet, würdig gerahmt, seine Kunst zum Verkauf an. Und die Vernissage sollte möglichst drei Tage vor der Biennale-Eröffnung liegen. Denn spätestens am Eröffnungsabend packt die Kunstmafia ihre Koffer und reist ab. Wenn sich für das Publikum die Tore zum Biennale-Garten öffnen, sind die Würfel längst gefallen. In den Tagen der Vorbesichtigung zieht die Presse, ziehen Kritiker und Galeristen durch die Ausstellungsräume, verteilen Künstler, Kataloge und Statements, rechtfertigen die Kommissare ihre Auswahl, werden die Preise vergeben. Dann gehört die Kunst dem Volke.

Dimensione futura - diesen anspruchsvollen Titel gab sich die 44. Biennale. Und nach den Worten ihres künstlerischen Direktors Giovanni Carandente sollte sie zeigen, wie die Kunst der neunziger Jahre auszusehen hat. Jung muß sie sein, so Carandente - doch was noch, diese Frage bleibt offen. Die in Venedig vorgeführte Zukunft hat keine Dimension, ist oft nicht mehr als ein manirierter Blick zurück, ist magenfreundlich aufgekochte Kunstgeschichte.

Im sowjetischen Pavillon huldigen die jungen Russen mit Pop -Art-Schinken dem Mythos Amerika. Und der alte Bob Rauschenberg darf als Kunst-Missionar und Ehrengast in ihrer Mitte seine schönste Moskauer Fast-food-Impression offerieren. Derweil inszeniert die nächste US -Künstlergeneration im landeseigenen Biennalebau eine noch vollkommenere Ästhetik des Banalen. Jenny Holzer, Tochter eines Ford-Verkäufers aus Ohio, erliegt dem Marmorrausch und präsentiert eine Kreuzung zwischen Broadway und Soldatenfriedhof als The Venice Installation. In den edlen Boden ihres Pavillons ließ die Amerikanerin mehr oder minder inhaltsschwere Sprüche meißeln und mit Diamantstaub überziehen. An den Wänden und in der ganzen Stadt verstreut wiederholen Digital-Rollschriften Holzers Weisheiten: „Fuck myself and fuck all of you would hurt her“.

Ohne Worte und allein dem Stein vertrauend arbeitet der aus Indien stammende Brite Anish Kapoor. Er hat Englands Pavillon in einen Märchenwald verwandelt, in dem die tote Materie zu leben beginnt. Riesige Sandsteinblöcke hat Kapoor ausgehölt, unter ihrer Haut scheint sich nun die Nacht zu verbergen. Andere Stücke wurden mit Pigmenten überzogen und leuchten, ihre Schwere leugnend, tiefblau, schwarz oder krapprot. Kapoors Meisterstück ist ein völlig weißer Raum, in dessen Stirnwand eine ovale Vertiefung geschlagen wurde. Das kleine perforierte Wandstück überzog der Künstler mir blutroten Pigmenten: die Seitenwunde Christis im Großformat.

Überzeugendes sucht man in den Pavillons der anderen europäischen Kulturnationen vergeblich. Die Franzosen haben den Slogan der Biennale wörtlich genommen und beschränken sich in ihrem angeschlagenen Quartier auf die Präsentation der verspielten Entwürfe für dessen Nachfolgebau.

Kunst entdeckt der Biennale-Besucher da schon eher an der Peripherie, fern des euro-amerikanischen Marktes, dort, wo sie ihren Wurzeln noch verbunden ist und der Selbstzweck nicht mit der Gefallsucht konkurriert. Bei den Brasilianern etwa, im Werk Gilvant Semicos, der mit Bezug auf lokale Traditionen Harmonie einklagt oder im von der Rockefeller -Stiftung finanzierten afrikanischen Beitrag: Nicholas Mukomberanwa und Henry Munyaradzi, zwei Bildhauer aus Zimbabwe, führen den auf die abendländische Kunst fixierten Augen vor, falls sie es noch nicht wissen sollten, woher die Meister der klassischen Moderne den Mut zur künstlerischen Revolte nahmen. Neben ihren Serpentinen-Skulpturen erscheinen die aufwendigen Installationen im Spanischen, Polnischen oder Griechischen Pavillon nur noch geschwätzig.

Der Spanier Antoni Miralda versucht den Pomp durch Witz zu rechtfertigen. Sein Honeymooon, das Projekt eines inszenierten Countdowns für die geplante Eheschließung (1992) zwischen dem Kolumbus-Denkmal von Barcelona und der Freiheitsstatue von New York, kann zwar noch durch das Veto der Besucher gestoppt werden, dennoch ist dieses Festival der Trivialität, ist Amerika mit seiner Post-Reagan -Rummelplatzromantik in Europa wohl nicht mehr aufzuhalten. Auch wenn die Deutschländer jetzt vereint dagegen protzen. Doch noch gibt es zwei - und in Venedig zwei Pavillons.

Die bundesdeutsche Ausstellung wird dominiert vom Werk des Künstlerehepaars Hilla und Bernd Becher. Deren Fotografien vermögen ohne subjektive Verfremdungen, Industriearchitektur als vom Menschen befreite, als ästhetisch autonome Plastik darzustellen. Vor allem die Intensität, mit der sie sich dieser Aufgabe gewidmet haben, überzeugt im Venedig der Kurzlebigkeiten. An Reinhard Muchas Deutschlandgerät, dem zweiten Beitrag im Pavillon GERMANIA, scheiterte sogar das Interpretationstalent des bundesrepublikanischen Kommissars. Und da Klaus Bussmann nicht verraten kann, was die Kombination von vierzig Fußbänkchen und deren in Messing gegossenen Repliken mit dem am Ausgang des 19. Jahrhunderts entwickelten „druckluft-hydraulischen Aufgleiser“ namens Deutschlandgerät zu schaffen hat, soll es hier auch nicht versucht werden.

Die DDR beschränkte sich auf zwei Künstler. Walter Libuda und Hubertus Giebe hatten so die Chance, einen Querschnitt ihres Werks international zu präsentieren. Während Libuda mit seiner krustigen, unentschlüsselbaren und doch figurativen Malerei dem tafelbildentwöhnten Venedig die Stirn bot, ging Giebe thematisch vor. Seit über fünf Jahren arbeitet der Dresdner Künstler und Hochschullehrer an einer Folge zu Peter Weiss‘ Ästhetik des Widerstands. Einem Projekt, dem vor Monaten noch der Hauch des Visionären zugesprochen wurde, das nun aber, in seinem Engagement für eine humane sozialistische Alternative zum Historienbild degradiert ist.

Deutschland ist auch das Thema von Ambiente Berlin, der Bildershow zum TV-Nachrichtenprogramm. Doch die Idee zu diesem Biennalepart wurde nicht erst im November '89 geboren. Ursprünglich war Ambiente Berlin als Fortsetzung der auf der letzten Biennale mit Ambiente Italia begonnenen topografischen Themensetzung gedacht. Der Vorschlag geht auf den Kunsthistoriker Werner Schmalenbach zurück, er sollte Gelegenheit bieten, am Beispiel Berlins die Emanzipation Europas vom amerikanischen Kunstdiktat vorzuführen. Doch unter dem Eindruck der deutschen Ereignisse geriet das Projekt in den Zwang, auch noch die Zusammengehörigkeit beider Stadthälften demonstrieren zu müssen. Also wurden Ostberliner Künstler einbezogen; infolgedessen geriet man in einen Platz- und Konzeptionsnotstand. Schon die Auswahl der DDR-Künstler Frauen sah man in Venedig nur als mitreisende Gattinnen vermittelt keineswegs ein Bild von der Kunstentwicklung im Ostteil der Stadt. Zwar können Klaus Killisch, Trak Wendisch und Frank Seidel die neoexpressiven Tendenzen der 80er belegen, doch fehlt jeder Hinweis auf eine sich seit Werner Helds Zeiten beharrlich behauptende, sensualistische Berliner Schule. Die Einbeziehung der Arbeiten des ohnehin im DDR-Pavillon präsenten, erst seit kurzem in Berlin arbeitenden Walter Libuda ist eine nicht zu rechtfertigende Doppelung, während Hans Tichas plakative Satiren auf den Honecker-Staat aus den frühen 80ern wohl nur darüber hinwegtäuschen sollen, daß der DDR-Kunst jeder direkte Angriff auf das alte System fremd war. Auch in ihrem Versuch, auf die jüngste Geschichte Bezug zu nehmen, blieben die Ostberliner im bewährten Mythensumpf stecken und damit hinter den konkreten Bildangeboten der Kollegen Vostell und Hödicke zurück.

Realismus wird jetzt im Westen gemacht; einzig Trak Wendischs Brücke aus der Sammlung Frank Schmeichel kann als Verweis auf die „Revolution“ dienen: Ein glühender Menschenstrom in rabenschwarzer Nacht. Weniger zaghaft Wolf Vostell mit seiner Riesentafel 9. November 1989, über die schon viel zu viel geschrieben wurde, und K. H. Hödicke mit zwei überzeugenden Arbeiten zur Berliner Silvesternacht. Ein Beweis dafür, daß auch die alten Wilden noch lange nicht am Ende sind. Sein Sturm aufs Brandenburger Tor zieren Katalog und Ausstellungsplakat. Ähnlich Furioses sucht man bei Ambiente Berlin vergeblich. Dafür viel Platz für Ed und Nancy Kienholz‘ alte Assemblagen, die mit Waschbrett und Volksempfänger ein Deutschlandbild kultivieren, das vor fünfundvierzig Jahren in Trümmern versank.

Der eigentliche Star der 44. Biennale ist Jeff Koons. Ein junger US-Künstler, der schon heute in seiner Heimat zu den hochdotiertesten Art-Anbietern zählt. Dessen materialintensive Kaufhauskitsch-Kunstwerke werden von den Erfolgreichen seiner Generation genau so stürmisch gekauft und angebetet wie einst Warhols Ikonen. Koons darf zwar nur im Rahmen der nachgeordneten Aperto '90 ausstellen, doch was er dort zeigt, sorgt für Aufregung. Gemeinsam mit Italiens populärster Prostituierten und Jungpolitikerin Ilona Staller inszenierte der Amerikaner im Mündungsfeuer der Medien eine Romanze, deren Details er nun den Kunstfreunden präsentiert. Die sehen den schönen Jeff und „La Cicciolina“, viel Fleisch und Glamour. Als Krönung aber inmitten riesiger Farbaufnahmen das nackte Paar, geschnitzt und bemalt, als schießbudenbarocke Antwort auf Berninis Heilige Theresa.

Ansonsten ist Aperto im kleinen nicht mehr als die Biennale im großen; ein Tummelplatz wenig überzeugender Beliebigkeiten, auf dem nur die Erfolge erzielen, die sich den Maßstäben der Unterhaltungsindustrie beugen. So gesehen lagen auch die DDR-Künstler Zabka & Hillemann mit ihrer Rumpelkammer aus sozialistischen Landen eher im Trend als ihr schwermütig installierender Kollege Jörg Herold. Dessen Fötus-Festung Miss-Geburt aus Heizstäben, Kalk, Eisen, Leim und Gips auf Beuys'schem Fundament hatte unter Venedigs Sonne den weitaus schwereren Stand.

Ohnehin hat die DDR-Beteiligung in Venedig etwas Anrührendes. Zwar schmierten Libuda und Giebe an die strahlendweiße Pavillon-Wand trotzig schwarz-rot-gelb das Kürzel ihres Landes, doch war das der in Auflösung befindlichen DDR keine Mark mehr wert: Den ostdeutschen Biennale-Katalog ziert eine Liste der Westfirmen, die seinen Druck und den Aufenthalt der Künstlercrew finanzierten. Dem Shakehands der Funktionäre folgt jetzt das der Aktionäre. Von alldem nahm Venedig kaum Notiz, schon am Eröffnungstag hatte die Stadt wieder ihre eigenen Sorgen. Während Andreottis Rundgang zogen Studenten der Kunst-Akademie laut protestierend durch den Biennale-Garten: „Keine Weltausstellung in Venedig, nein zu EXPO 2000!“

Bis 30. September, der Katalog kostet 45.000 Lire

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