: Gesamtdeutschland in bedrohlicher Nato-Nähe
■ Sowjetisch-amerikanische Annäherung am Rande der KSZE-Konferenz / UdSSR will Erklärung über defensiven Charakter von Nato und Warschauer Pakt
Kopenhagen/Bonn (ap) - Intensive Gespräche der Außenminister der USA, der UdSSR und der BRD am Rande der KSZE-Konferenz in Kopenhagen haben die Aussichten auf eine Einigung in der Frage der Bündniszugehörigkeit eines vereinten Deutschlands bedrohlich vergrößert. Darauf deuteten die positiven bis optimistischen Kommentare des amerikanischen Außenministers James Baker und seines sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse hin, denen sich auch Bundesaußenminister Hans -Dietrich Genscher anschloß.
Genscher hatte in Kopenhagen mehrmals mit Baker und Schewardnadse gesprochen und noch in der Nacht Bundeskanzler Helmut Kohl nach dessen Ankunft in New York unterrichtet.
Bereits am Montag wird Genscher in Brest an der sowjetisch -polnischen Grenze seine Gespräche mit Außenminister Schewardnadse über die äußeren Aspekte der deutschen Einigung fortsetzen. Bei der Gelegenheit wollen die beiden Politiker das Grab von Schewardnadses Bruder besuchen, der im Juni 1941 im Zweiten Weltkrieg gefallen war.
Über die Elemente eines möglichen gemeinsamen Nenners schwiegen sich Baker und Schewardnadse zunächst aus, um erst ihre jeweiligen Verbündeten zu unterrichten. Baker wird dies heute auf einer Tagung des Nato-Rats in Turnberry in Schottland tun. Schewardnadse sagte nach seinem Treffen mit Baker, man verstehe einander jetzt besser.
Baker antwortete auf die Frage, ob es Fortschritte beim Bündnisproblem gebe: „Ich denke, ja.“ Die bundesdeutsche KSZE-Delegation zeigte sich zuversichtlich über den weiteren Fortgang dieser Gespräche. Baker hatte Schewardnadse den von den USA entworfenen Neun-Punkte-Plan erläutert. Wie verlautete, sieht der westliche Vorschlag die Versicherung Deutschlands vor, daß es als Mitglied der Nato weder Atom noch chemische Waffen haben wolle, und daß Nato-Soldaten nicht auf das Gebiet der derzeitigen DDR vorrücken sollten.
Bisher hatte die Sowjetunion eine Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands auch unter einschränkenden Bedingungen nicht akzeptiert. Die sowjetische Seite soll den Austausch einer Erklärung zwischen Nato und Warschauer Pakt über den defensiven Charakter ihrer Strategien vorgeschlagen haben.
Genscher selbst nannte am Mittwoch im Norddeutschen Rundfunk vier Elemente für die Lösung des Bündnisproblems bei der Vereinigung, die sich nach den Gesprächen in Kopenhagen abzeichneten:
1. Die Institutionalisierung des KSZE-Prozesses. Damit entstünden Stabilitätsstrukturen in allen Bereichen Europas, nicht nur im militärischen Bereich.
2. Die konventionelle Abrüstung. Sie sei die Schlüsselfrage. Einbezogen würden im weiteren Verlauf außer den Streitkräften der USA und der UdSSR auch die Armeen anderer Staaten, darunter die Bundeswehr.
3. Das künftige Verhältnis zwischen Nato und Warschauer Pakt. Man könne sich sehr wohl vorstellen, daß beide Bündnisse in einer gemeinsamen Erklärung ihre künftigen Absichten zum Ausdruck bringen. Man müsse das Verhältnis der beiden Bündnisse zueinander „entfeinden und den Antagonismus abbauen“. Das werde der Vertrauensbildung dienen.
4. Die Frage der Oder-Neiße-Grenze müsse geregelt werden.
In diesem Rahmen werde dann auch die Lösung der äußeren Aspekte der deutschen Vereinigung möglich sein, betonte Genscher. Das habe sich bei den Gesprächen deutlich ergeben.
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