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Moskau schickt frische Truppen

■ Weitere Todesopfer in der Sowjetrepublik Kirgisien, jetzt sind es schon mehr als vierzig

Moskau (ap/taz) - Die nach blutig ausgetragenen Streitigkeiten zwischen Kirgisen und Usbeken in der Kirgisischen Sowjetrepublik herrschende Spannung hat sich Berichten sowjetischer Medien zufolge am Mittwoch in neuen Gewalttaten entladen, deren ganzes Ausmaß zunächst nicht zu übersehen war. Der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR, Anatoli Lukjanow, teilte vor dem Parlament in Moskau mit, es habe bis zum Mittwoch bei erbittert geführten Straßenschlachten mindestens 40 Tote und über 200 Verletzte gegeben. Der sowjetische Pressedienst 'Interfax‘ meldete, die Zentralregierung in Moskau habe weitere Polizeieinheiten und dem Innenministerium unterstellte Truppen in die Stadt Osch geschickt. Den Berichten zufolge haben sich die Auseinandersetzungen auf die Umgebung von Osch und die Stadt Usgen ausgeweitet. Für die Polizei in Frunse, der Hauptstadt Kirgisiens, galt am Mittwoch höchste Alarmstufe.

Zur Explosion der Gewalt zwischen Usbeken und Kirgisen hatte laut 'tass‘ ein Streit um Bauland geführt. Einige der wohnungssuchenden Kirgisen forderten von der Leninkolchose Bauland, was durch die Arbeiter der Kolchose, vor allem Usbeken, zurückgewiesen wurde. Nachdem Sicherheitstruppen die streitenden Parteien zu trennen versucht hatten, waren hunderte Bewaffnete durch die Straßen der 210.000-Einwohner -Stadt Osch gezogen und hatten Wohnhäuser, Läden und Autos in Brand gesteckt.

'Tass‘ meldete am Mittwoch, Soldaten und Polizisten hätten Posten an Straßen errichtet und kontrollierten jeden scharf, der nach Osch wolle. Die Armeezeitung 'Krasnaja Swesda‘ berichtete, die einzige Fabrik der Stadt, in der noch gearbeitet werde, sei eine Großbäckerei. Die Zeitung schrieb weiter, „Horden von Schlägern“ zögen durch die Straßen und gingen auf andere „Banden von Rowdys“ los.

Die Kirgisen, ein ehemals nomadisierendes, heute seßhaft gewordenes Turkvolk, das sich mehrheitlich zur sunnitischen Richtung des Islams bekennt, haben nach der Volkszählung von 1979 einen Anteil von 47,9 Prozent an der Gesamtbevölkerung der nach ihnen benannten Sowjetrepublik. Fast 26 Prozent der Einwohnerschaft sind aus Russen, über zwölf Prozent die ebenfalls moslemischen Usbeken, dazu kommen Ukrainer, Tataren, Uiguren, Kasachen und Tadschiken sowie auch eine beachtliche Zahl von Deutschen (1979: 100.000).

Kirgisien geriet 1864 unter russische Herrschaft. Seit 1924 erst als autonomes Gebiet innerhalb der Russischen Sowjetrepublik, 1926 dann als Autonome Republik Kirgisien, wurde Kirgisistan am 5.Dezember 1936 eine der heute 15 sowjetischen Unionsrepubliken.

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