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100 Jahre organisierte Mieterbewegung

■ Morgen feiern Mieterbund und Hamburger Mieterverein Geburtstag / Neue Aufgaben wachsen mit der Einheit

Während der Deutsche Mieterbund sein 90jähriges Bestehen feiert, begeht der Hamburger Landesverband gar schon 100. Geburtstag. Die Organisationen jubilieren mit einem Festakt in Hamburg. Die Zahl der Wohnungssuchenden steigt inzwischen weiter, die Wohnungsbauprogramme stocken. Und bei DDR -Mietern wächst die Angst vor einer Übernahme bundesrepublikanischen Mietrechts.

Hunderttausende sind bundesweit auf Wohnungssuche. Bescheinigungen, die zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigen, sind mittlerweile ein Muster ohne Wert. Besonders gravierend ist die Wohnungsnot in den Ballungsräumen. Genau dort jedoch macht auch die Umsetzung der hektisch aufgelegten Wohnungsbauprogramme die größten Schwierigkeiten. Als seit den 60er Jahren die Großsiedlungen in die Landschaft geklotzt wurden, regte sich gegen deren Standorte kaum Widerstand. Das sieht heute anders aus, obwohl die Einzelvorhaben nicht mehr die Ausmaße überdimensionierter Großsiedlungen haben.

In Hamburg ist ein regelrechter Kampf um die Wohnungsbauflächen entbrannt. Kaum eine der Flächen, die der Senat für die vorerst geplanten 20.000 Wohnungen (40.000 HamburgerInnen gelten als wohnungssuchend) ausgeguckt hat, ist unumstritten. Gegen die größeren Bauvorhaben in den grünen Randbezirken haben sich fast durchgängig Bürgerinitiativen gegründet. Mag sich deren Widerstand zum Teil auch aus der St.-Florians-Quelle speisen, so sind doch die Umweltschutzargumente, die diese Initiativen ins Feld führen, nicht von der Hand zu weisen. Sie stammen nämlich von Naturschutzverbänden wie dem BUND oder dem Deutschen Bund für Vogelschutz, die sich bei ihrer Gegnerschaft gegen die Wohnungsbauprojekte zumeist auf Gutachten der Umweltbehörde stützen.

So stuft ein Biotopschutzkonzept für den Bereich Walddörfer/Alstertal ausgerechnet jene Fläche als „ökologisch besonders wertvoll“ ein, die jetzt mit 850 Wohnungen bebaut werden soll. Auch bei dem mit 4.500 Wohnungen größten Einzelprojekt im Südosten der Hansestadt muß über den Schaden für die Natur nicht lange diskutiert werden. Dort sind durch den Wohnungsbau Frosch-, Fisch- und Libellenarten gefährdet. Zudem würde die einzig verbliebene naturnahe Verbindung zwischen Geestlandschaft und Elbmarsch zerstört. Als Alternative schlagen diese Bürgerinitiativen vor, Baulücken und andere Freiflächen in bereits bestehenden Stadtteilen zu schließen. Doch erstens reichen diese Flächen nach den Berechnungen der Baubehörde nicht aus. Und zweitens beginnen sich auch dort die BewohnerInnen zu wehren. Und wieder sind es zunehmend Umweltschutzgründe, die gegen eine zusätzliche Verdichtung der Stadtteile angeführt werden. Zwar ist nicht von Arten- oder Biotopschutz die Rede, dafür aber von Lebensqualität.

Die BewohnerInnen des Osterkirchenviertels in Hamburg -Altona z.B. wollen verhindern, daß im Rahmen der geplanten Sanierung des Stadtteils Baulücken geschlossen und Dachgeschosse ausgebaut werden. 250 zusätzliche Wohnungen hatten die StadtplanerInnen auf diese Weise in dem Viertel unterbringen wollen, das jetzt schon extrem dicht besiedelt ist. Rechnet man die existierende Bebauung auf die Gesamtfläche des Stadtteils um, so ist dieser mit einem riesigen 1,7 Stockwerke hohen Gebäude überbaut. Nach Ansicht der BewohnerInnen ist das mehr als genug, zumal das Sanierungskonzept unter der Überschrift „ökologisch“ firmiert.

Sozialbindung

Auch im benachbarten Schanzenviertel trifft die Schließung einer Baulücke auf Kritik. Dort machen es die Behörden den AnwohnerInnen allerdings leicht, gegen Wohnungsbau zu argumentieren: Vor knapp zwei Jahren sollte auf dem Gelände, das jetzt, so die Baubehörde, unbedingt für Wohnungen gebraucht wird, noch ein riesiges Musical-Theater entstehen. Dieser Plan scheiterte damals am zum Teil militanten Widerstand der AnwohnerInnen. Die für den Wohnungsbau benötigten Flächen zu finden, wird immer schwieriger - mal ganz abgesehen von den explodierenden Grundstückspreisen und Baukosten. Doch ist die Wohnungsnot nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Problem: benötigt wird preiswerter Wohnraum. Demgegenüber fallen jährlich Zehntausende von vergleichsweise preiswerten älteren Sozialwohnungen aus der Sozialbindung heraus. So werden in Hamburg im Jahr 2000 von den heute 280.000 Sozialwohnungen nur noch 90.000 übrig sein. Der Bestand, mit dem eine aktive Wohnungspolitik für diejenigen gemacht werden kann, die darauf angewiesen sind, weil sie sich nicht am sogenannten freien Markt versorgen können, wird immer geringer. Auch noch so umfangreiche Neubauprogramme können diesen Verlust nicht ausgleichen.

Vielmehr bedeuten die Neubauprogramme sogar die Fortsetzung eines förderpolitischen Irrsinns. Für Hamburg heißt das konkret: Die verlorenen Zuschüsse, mit denen die Mieten 20 Jahre lang unter eine politisch gewollte Obergrenze herabsubventioniert werden, übersteigen im Verlauf der Förderungsdauer die historischen Baukosten. Die KritikerInnen dieser Förderpolitik fordern daher, daß die Städte und Gemeinden wieder selbst bauen sollten. Kommunaler Wohnungsbau würde zwar nicht automatisch billiger werden, jedoch wäre das aufgewendete Kapital nicht verloren, und die Städte und Gemeinden hätten einen dauerhaften Zugriff auf die von ihnen gebauten Häuser.

Im Straßenbau ist so etwas möglich und sogar ohne Benutzungsgebühr. Auch kommt in diesem Bereich niemand auf die Idee, daß der Staat nicht in der Lage sei, für eine ordnungsgemäße Instandsetzung zu sorgen. Wenn es jedoch um Wohnungsbau in staatlicher Regie geht, verweisen GegnerInnen des kommunalen Wohnungsbaus gern auf die DDR. Dort sind allerdings auch die real existierenden Straßen in einem schlechten Zustand, während sie hier so gehegt und gepflegt werden, daß Tempolimits immer noch weithin als Freiheitsberaubung aufgefaßt werden.

Kai Fabig

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