Statt Watte: Die Geometrie des Wolkenmalens

■ Gespräch mit Dr. Hartmut Jürgens, dem Leiter des Bremer Computergrafik-Labors, über Chaostheorie und Kultur

Die Denkgebäude, in denen wir uns gewohnheitsmäßig aufhalten, sehen ein bißchen alt aus, seit die „Chaostheorie“ in ihnen rumort. Sie tritt auf mit dem Anspruch, das normale Chaos der Welt zu erklären als abgeleitet aus Einfachem. Sie bietet damit eine Art Technologie der Natürlichkeit. Das „Institut für dynamische Systeme“ an der Bremer Uni, samt angeschlossenem Labor für Computergrafik, ist weltweit höchst reputiert, vor allem was die grafische Umsetzung von Erkenntnissen der Chaosforschung betrifft. Die taz sprach mit Hartmut Jürgens, dem Leiter des Grafik-Labors.

hierhin bitte

das Paßfoto von dem grauhaarigen

Herrn

taz: Sagen Sie malfachmännisch, was Chaos ist.

Hartmut Jürgens: Das berühmteste Chaos veranstaltet vermutlich das Wetter. Die kritischen Punkte, an denen es umkippt, sind ja sehr schwer auf einigermaßen lange Sicht zu prophezeien. Im Grunde kriegt man mit dem ganzen meteorologischen Apparat kaum mehr raus als das, was wir Laien uns auch denken können. Selbst wenn man sich vorstellt, wir würden einen wahnsinnigen Aufwand betreiben und den ganzen Planeten mit Meßstationen bedecken, im Abstand von einem Meter, selbst dann wäre bald alles für die Katz. Das physikalische System „Wetter“ hat die Eigenschaft, sich chaotisch zu verhalten. Wir sagen, es ist „sensibel bezüglich der Anfangsbedingungen“. Die allerwinzigsten und ganz unvermeidlichen Meßfehler führen rasend schnell zu einem anderen als dem prognostizierten Verhalten. Früher hielt man sowas für eine unerwünschte Abweichung von einem gedachten Idealfall, heute geht uns langsam auf, daß alle halbwegs interessanten Systeme chaotisch sind. Da ist derzeit eine allgemeine Revolution in den Naturwissenschaften im Gang.

Was bleibt da noch an schön Langweiligem?

Nun, das Pendel zum Beispiel, was geradezu ein Paradigma für Ordnung ist. Wir bauen es ja in unsere Uhren ein. Aber auch das wird schnell komplex. Solange es nur einen „Attraktor“ hat, die Erdanziehung, ist es berechenbar. Aber wenn wir eine Metallkugel pendeln lassen und, als zweiten Attraktor, einen Magneten in ihre Nähe bringen, wird's schon ziemlich wirr. Und bei zwei Magneten, da lacht man sich kaputt über die Kapriolen, die rauskommen. Wir können mathematisch genau beschreiben, was passiert, aber es ist überhaupt nicht vorauszusagen. Das gleiche gilt übrigens auch für unser Sonnensystem.

Schluck!

Man muß sich dessen Langzeitverhalten anschauen, dann merkt

man, verflixt, das ist ja gar nicht so einfach. Wir haben Körper, die als Attraktoren aufeinander wirken, und wie leicht können sich Konstellationen ergeben, die alles durcheinanderbringen und kippen lassen. Der Anschein überirdischer Stabilität kommt von der Großräumigkeit der Dimensionen. Aber wenn man auch den Zeitmaßstab entsprechend groß wählt, dann verhält sich auch das Sonnensystem chaotisch.

Aber doch auch ganz ordentlich, oder?

Ja natürlich. Das soll nun nicht heißen, daß überall der Zufall regiert. Es ist ja gerade der Witz der Chaostheorie, daß sie erklären kann, wie ganz einfache Systeme, zum Beispiel das Pendel, sich nach sehr einfachen Regeln ganz schnell unglaublich verzwickt

aufführen, wie zufällig, und zwar ohne daß eine Spur von Zufall gewirkt hätte. Die Chaostheorie hilft, solche Strukturen und Zusammenhänge zu verstehen.

Aber was nützt das wirklich? Daß alles noch viel verzwickter ist, als wir denken, insbesondere das Wetter, wissen wir schon lange.

Richtig. In diesem Sinn greift die Chaostheorie als neues mathematisches Verfahren unser Alltagswissen auf und macht es explizit.

Millionen von Schulklassen werden es danken. Warum wird erst jetzt die Mathematik sozusagen realistisch?

Das ist eine Frage der Mittel und des Interesses. Die etablierte, die euklidische Schulgeometrie kann nur relativ einfache Systeme konstruieren und prognostizieren. Was sich mit Zirkel und Li

neal basteln ließ, genügte lange Zeit vollauf dem Bedarf der technisch-maschinellen Entwicklung. Nun sehen wir, daß uns Maschinen, Systeme, wenn sie nur genügend groß werden, schnell aus der Kontrolle laufen, sozusagen Chaos erzeugen. Und auch innerhalb des technischen Fortschritts hat man immer häufiger mit Problemen zu tun, die sich der euklidischen Geometrie entziehen. Es sind das nichtlineare Effekte, etwa Turbulenzen aller Art, Strömungen, Wirbel im Wasser. Alles Erscheinungen, die man früher nach Kräften eliminierte oder womöglich umging, als zu kompliziert, nicht in den Griff zu kriegen.

Und jetzt?

...verstehen wir besser, wie, ja, wie einfach das Chaos in der Regel zusammengesetzt ist. Das

entscheidende Werkzeug dafür ist die Fraktale Geometrie.

Was steckt denn hinter dem Begriff der fraktalen Geometrie?

Erst einmal die Idee, daß in aller Turbulenz und Dynamik, in aller wirren Bewegung recht einfache Strukturen stecken. Nehmen wir einen Farnwedel. Der hat eine wahnsinnig komplexe, filigrane Form. Wollte man die aus den Kreisen und Geraden der Schulgeometrie konstruieren, würde man sich schnell total verknoten. Die fraktale Geometrie kann das, sogar mit recht einfachen, kompakten Algorithmen.

Was ist der Trick dabei?

Unsere Geometrie kann mit dem allgemeinen Phänomen der „Selbstähnlichkeit“ umgehen. Nehmen wir mal ein Teilblatt aus unserem Farnwedel heraus, dann sehen wir, daß es dem großen Blatt sehr ähnlich sieht. Und es hat selber kleine Ausbuchtungen, die ihm, dem Teilblatt ähneln. Wir sprechen von „selbstähnlich eingebetteten Strukturen“. Die Bestandteile werden aus dem Ganzen generiert. Das ist ein ziemlich allgemeines Prinzip, mit dem man ohne weiteres auch Gebirgsformen oder die Dichteverteilung in Wolken beschreiben kann. Und plötzlich kann man ein einfaches Computerprogramm machen, welches Wolken malen kann.

Wohin jetzt mit den alten Wolkenmalern? Es wird ja wohl überhaupt die ganze Kultur heftig erschrecken, wenn wir bald alles mögliche, Natur inklusive, auf jedem PC simulieren können.

Erst einmal ist die Computergrafik, die von der Fraktalen Geometrie ermöglicht wird, nichts als ein neues Werkzeug, mit dem nun auch, sagen wir mal: lebendige, natürliche Strukturen erzeugt werden können. Das ist nicht schon von selber Kunst. Aber es gibt viele Künstler, die sich dafür interessieren.

Wollen die keine Wolken mehr pinseln müssen?

Na, wenn man bedenkt, wie verflucht viel Arbeit, wieviel Illusionstechnik, wieviel Tupfen mit Wattebäuschchen in so einer Wolke steckt. Oder wenn man einen Baum malen soll, der ja als konkreter Tausende von Blättern hat, wird man auf den Pinsel gern verzichten.

Geht da nichts verloren?

Was?

Mal informationstheoretisch argumentiert: In jedem realen Pinselklecks steckt annähernd unendlich viel Information. Auf dem Bildschirm sehen wir nie mehr als ein paar tausend Bildpunkte, die Information ist äußerst begrenzt. Das merken wir doch, wenn auch nicht unbedingt bewußt.

Theoretisch ist da in der Tat der Informationsgehalt geringer, das Computerbild ist weniger „rauh“. Die Frage ist allerdings, ob die Information, die verlorengeht, wirklich relevant ist.

Warum ist dann in fast aller Computergrafik so beängstigend viel Stabilität und Harmonie?

Das liegt nicht am Computer, sondern an den Produzenten. Das Grafikprogramm macht nicht anderes als einen großen Zahlensalat in ein Bild umzusetzen, es visualisiert Daten. Wie wir das haben wollen, das hängt dann oft von überkommenen Vorstellungen ab. Und weitaus das meiste

von dem, was computergrafisch gemacht wird, ist noch von der klassischen Geometrie fasziniert und geprägt. Da sieht man dann immerzu Kugeln, die sich drehen, die spiegeln und glitzern. Das ist so der ganze ARD-Logo-Kram mit der rotierenden Eins. Darüber kann man wirklich streiten.

Das alles hört sich an, als könnte die Chaostheorie endlich mal Wissenschaft, Kunst und Kultur so richtig miteinander ins Gemenge bringen.

Das kann sie in der Tat. Und, nicht zu vergessen, sie entspricht in überraschender Weise unserer alltäglichen Intuition.Benoit Mandelbrot sagt, ganz richtig, daß jetzt endlich die Mathematik die Gelegenheit hat, aus ihrer selbstverschuldeten Isolation heraus wieder in die Welt zu kommen. Fragen: scha