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Van Goghs kleinster Bruder gefunden

■ Rechtzeitige Kennenlernung Gerhard Uhligs vor der Premiere seiner Van-Gogh-Collage im Concordia

Er hat diese weitaufgeklarten Schau-Augen, denen ich mich ungern aussetze. Sein Blick durchsucht immer den meinen, hält sich aber ganz starr, daß ich es nicht merke. Wir sitzen im Cafe Engel, Gerald Uhlig und ich, und kämpfen von Anfang an mit Zähigkeit um den Eindruck, den ich von ihm habe.

„Weißt du“, sagt er, „ich bin ja alle Figuren, ich bin auch der Psychiater Cachet, der versucht hat, ihn umzubringen, nach neuesten Erkenntnissen. Da hab ich auch eine provokante These zu geschrieben.“ Wir reden über den Maler Vincent van Gogh und über Uhlig, den Schauspieler, der heute und morgen im Concordia eine Van-Gogh-Collage aufführen wird. Sie ist beflaggt mit dem sanftwehenden Titelsatz „Lust will Ewigkeit, Trauer hat sie“. Aus welchem Grund aber hat sie Ewigkeit, die Trauer? Uhlig vergiftet mich mit einem ganz schwach gezuckerten Lächeln, „ja wenn du das nicht verstehst“, pünktelt ein kurzes Schweigen hinterher und greift an: „Was machst denn du mit deiner Trauer?“ Da muß ich hüsteln, weil er, plötzlich vornübergebeugt, den Blick schon spitzt, mich an die Wand zu nageln; aber

gleich löst er sich wieder auf, der Virtuose, in eine Duftwolke aus eitel Begütigung und plaudert über unser aller Gebrechlichkeit, „wir sind ja hilflos mit unseren Worten, verstehst du“, und erzählt mir, daß ich von einer Paradiessehnsucht befallen sei und ein gefallener Engel wie alle andern auch.

Er braucht es gar nicht, daß man ihn fragt. Er redet in einem fort, mit eindringlich intonierter Beiläufigkeit, und denkt sich lauter Fragen aus, die er gern beantwortet. Und in den meisten Antworten muß er, „weißt du, auf eine meiner Inszenierungen zurückkommen, sechsunddreißig sind es insgesamt, viele über so extreme Menschen“, aber einiges erfahre ich doch.

Tausende von Briefen Van Goghs hat er gelesen, hat sich den Maler, sagt er, „einverleibt“, und auf meine Nachfrage, wie er sich nun fühle, entgegnet er ohne Zaudern: „Schlecht!“, erst in der gestrigen Nacht habe ihn wieder sein Magen geplagt, ihn, der ja, wie ich sehen könne, ohnehin ein zäher, dürrer „Mensch mit Hysterien“ sei und nun überdies sich permanent widergespiegelt finde in diesem Van Gogh und seinen Obsessionen.

Spricht und hat ganz hohle Wangen und den Bart akkurat gestoppelt und spricht über die Verwandtschaft von des Malers übergroßem Leid und aller, besonders seiner, Uhligs Kunst. Ich gebe zu, daß ich das nicht begreife. „Ja, du“, erwidert da Uhlig und rührt etwas Eis in seinen Blick, „das sagst du als Journalist, wo du dasitzt und Leute abfragst!“ Der Schöpfer hingegen, nach dem unbewußten Akt des Schöpfens stehe er doch in der Regel vor seinem Werk mit Schrecken: „Was habe ich getan!“ Weil ich die Zurechtweisung klaglos einstecke, scheucht Uhlig die Umnachtung aus seinen Zügen und läßt mir persönlich ein Lächeln aufgehen, welches mich nun wieder unweigerlich für ihn einnimmt. Ich bin ein paar Spielzüge im Rückstand: Uhlig führt seine charmante Eitelkeit so beflissen und voller Eifer spazieren wie andere ihren lieben Hund auch, wenn er eben muß, und seine Nase trägt er so unterwürfig hoch, daß man ihn gerne mögen möchte als Lohn für betriebenen Aufwand der Selbstverrätselung.

Sonst ist er Schauspieler am Bremer Theater, seit Ende letzten Jahres, und die Anstellung hat ihm ein gewisses Anrecht auf

Freiraum verschafft, jetzt also die Bühne im Concordia, aber leider nicht genügend Probezeit so daß er ein wenig improvisieren wird müssen, aber das macht ihm, sagt er, nichts aus, und wenn er scheitert, dann „auf hohem Niveau“. Nur die Frage, was er denn mache aus den zahllosen einverleibten Briefen, die wischt er sich aus dem Gesicht, als hätte ich versehentlich gespuckt beim Fragestellen, und behauptet starrsinnig, das hätte ich schon zum zweiten Mal gefragt; wahrscheinlich hat er sich nur wieder vorgestellt, gefragt gewesen zu sein. „Was willst du wissen? Daß mit gefärbten Kartoffeln geworfen wird? Daß ich einen Riesentisch auf die Bühne stelle mit zwölf Stühlen in Kreuzesform drumherum? Wie ihn übrigens Van Gogh in Arles hatte.“ Und redet wieder über dies und ähnliches, damit zusammenhängend oder im Gegenteil, über frühere Inszenierungen und über kommende und über seinen Vater, der nach dem Krieg den nahtlosen Damenstrumpf erfunden hat, steinreich ist und dem Sohn im Magen hockt, welcher aber trotzdem ein Flegel geworden und geblieben ist, ein Clown. Sagt er. scha

Sa., So., 20 Uhr, Concordia

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