„Auch bei den Grünen sind Personen wichtig“

■ Streitgespräch zwischen Landesvorstands-Sprecherin Cecilie von Gleich und dem Bürgerschaftsabgeordneten Paul Tiefenbach zur Rotation grüner ParlamentarierInnen

Am kommenden Mittwoch berät die Mitgliederversammlung der Bremer Grünen über die Rotation ihrer Abgeordneten. Nachdem vor der letzten Bürgerschaftswahl der Zweijahresrhythmus für den Austausch aller grünen ParlamentarierInnen auf vier Jahre verlängert wurde, gibt es nun den Antrag, für 20 bis 50 Prozent der Listenplätze die Rotation ganz aufzuheben. Die Antragstellerin Cecilie von Gleich ist Mitglied des Landesvorstandes, der Bürgerschaftsabgeordnete Paul Tiefenbach ist gegen eine Aufweichung der Rotation.

taz: Ihr spielt gerade verkehrte Welt: Die Landesvorständlerin ist gegen die Rotation, der Abgeordnete ist dafür. Ist das Leben im Parlament so schrecklich?

Paul Tiefenbach: Das Parlament ist schon schrecklich, aber das ist nicht der Grund, warum ich für Rotation bin. Denn das ließe sich ja dadurch lösen, daß man nicht wieder kandidiert. Es ist aber gerade wichtig, daß auch die rotieren, die das Parlament ganz toll finden.

Cecilie von Gleich: Ich finde es auch sinnvoll, daß jemand geht, der nach vier Jahren Parlament keine Lust mehr hat. Aber wer nochmal kandidieren will, soll auch die Möglichkeit dazu haben.

Du bist für Berufspolitikertum?

v. Gleich: In einem gewissen Teil ja. Ich glaube, daß die Grünen ohne Berufspolitiker nicht auskommen.

Tiefenbach: Für mich ist das Entstehen von Bürgerinitiativen in den letzten 20 Jahren ein ganz wichtiger qualitativer Sprung in der Entwicklung der Demokratie gewesen. Das war gleichzeitig eine Kritik am Politikmonopol der Parteien. Und ich fürchte, wenn die Grünen selber den Anspruch aufgeben, eine Alternative zu den Altparteien zu sein, dann verderben sie es sich gerade mit den Leuten, die sie als Alternative gewählt haben.

Professionalität schreckt Bürgerinitiativen ab?

Tiefenbach: Man muß mal unterscheiden zwischen Dauerparlamentariertum und Professionalität. In den 50er Jahren mag es so gewesen sein, daß man Parlamentarier sein mußte, um professionell zu sein. Aber heute arbeiten in Initiativen wahnsinnig professionelle Leute. Und daß das so ist, war auch eine Voraussetzung dafür, daß die Grünen aus dem Nichts den Sprung ins Parlament geschafft haben. Jetzt wird so getan, als ob man vier Jahre Parlament hinter sich haben müßte, um professionell zu sein: völliger Quatsch. Das ist ein Schutzargument der Parlamentarier, um ihre Wiederwahl nahezulegen.

v. Gleich: Aber mit dem Festhalten an der starren Vier -Jahres-Rotation berücksichtigt man nicht, daß es ganz unterschiedliche Personen sind, die ganz unterschiedlich Politik machen. Auch bei den Grünen sind Personen wichtig. Die Rotation erweckt den Eindruck, als sei es ganz egal, wer da kommt. Die Darstellung von Politik läuft eben über Personen, und damit gehen wir falsch um. Die Mitgliederversammlung ist doch selbstbewußt genug, zu entscheiden, welche Parlamentarierin - wenn sie es denn will - nochmal ins Parlament kann.

Tiefenbach: Wichtige Leute müssen nicht immer das gleiche Amt wahrnehmen. Ralf Fücks ist vom Bürgerschaftsabgeordneten zum Bundesvorstandssprecher gewechselt und geht jetzt vielleicht in den Bundestag, wird Bürgerschaftsabgeordneter oder legt ein Jahr Denkpause ein. So finde ich das gut: Das ist für ihn und für die Partei produktiv.

Wir müssen aus den Erfahrungen anderer Parteien lernen. Bürokratische Institutionen haben ihre inneren Gesetze. Und die zeigen immer wieder: Diejenigen, die oben sind, behaupten sich oben. Und in der Regel sind es Männer, die sich oben festsetzen.

v. Gleich: Aber wenn man mal nicht auf andere Parteien guckt, sondern auf die eigene, dann rollen bei den Grünen die Köpfe. Ob das Otto Schily, Thea Bock oder Petra Kelly ist. Es gibt bei den Grünen ein ganz krankhaftes Verhältnis zu Persönlichkeiten. Da müssen die Grünen mal raus. Mit diesen Köpfen geht das Profil der Grünen auch verloren.

Aber in Bremen gibt es keine Petra Kelly.

v. Gleich: Ja, aber es gibt trotzdem Personen, die in ihrer Arbeit behindert werden, wenn sie das Mandat nicht nochmal übernehmen können, und die dann auch die Grünen nach außen hin nicht mehr anständig vertreten können.

Wer denn zum Beispiel?

v. Gleich: Das will ich jetzt nicht sagen.

Tiefenbach: Auf der Mitgliederversammlung wurde gesagt, wenn Gandhi in den Grünen wäre, würden wir ihn rausrotieren lassen. Ich seh‘ den Gandhi nicht. Und ich finde es falsch, jemanden, der sich zur SPD hingezogen fühlt, in den Grünen zu halten, indem man ihm ein Abgeordnetenmandat schenkt.

v. Gleich: Mir geht es auch um die inhaltliche Arbeit. Wir sind doch alle gegen ABM-Stellen. Ich sitze selber auf einer ABM-Stelle und habe das Problem des permanenten Wechsels. Es ist einfach ineffektiv, was da an Einarbeitung nötig ist, bis Du es nach zwei Jahren einigermaßen kannst, um dann nach vier Jahren wieder zu gehen. Gerade weil die Grünen eine kleine Partei sind und starken Personalmangel haben, können wir uns das auf Dauer nicht leisten. Die Rotation ist keine heilige Kuh, bei deren Schlachtung grünes Profil verloren geht.

Tiefenbach: Es gibt im Moment einen mystischen Glauben in den Grünen, daß man sein Überleben sichert, wenn man sich nur richtig anpassen würde. Das ist ein Angstreflex, der der Partei sehr schaden wird. Gerade weil die Grünen eine Alternative zu den verkrusteten Altparteien waren, sind sie gewählt worden. Und nun bemühen sie sich selber, so eine Partei zu werden.

Ihr argumentiert beide sehr wahltaktisch. Der eine will die Rotation erhalten, um Wählerstimmen zu erhalten, die andere will die Rotation aus dem gleichen Grund abschaffen.

Tiefenbach: Gerade grünen Wählern kommt es vielmehr auf Inhalte an als auf Köpfe.

v. Gleich: Aber die laufen doch über Personen. Nimm mal Ralf Fücks: Das hat doch nicht nur mit Sachinformationen zu tun. Du mußt auftreten können, du mußt reden können, auch auf einer emotionalen Ebene. Das sind Qualifikationen, die haben nicht alle gleich.

Die nächste Wahl ist die Bundestagswahl. Wenn Du für die Rotation bist, bist du auch gegen eine Wiederkandidatur von Marieluise Beck-Oberdorf...

Tiefenbach: Sie würde sonst die zehn Jahre voll machen. Ich schätze Marieluise sehr, aber ich halte sie nicht für unersetzlich. Die anderen Kandidaten würden den Job genausogut machen.

v. Gleich: Das teile ich überhaupt nicht. Ich fände gut, wenn Walter Ruffler in die Bürgerschaft ginge, aber ich halte ihn für den Bundestag nicht für geeignet.

Tiefenbach: Über die Rotation bekommen viele Leute, die jetzt nur in ihrer Freizeit Politik machen können, auch mal die Chance, sich für vier Jahre voll darauf konzentrieren zu können.

Das Parlament als Berufsfortbildungsinstitut?

Tiefenbach: Das Parlament als Möglichkeit, sich voll der Politik widmen zu können. Es kommen neue Leute rein, die noch kreativ sind und Ideen haben. Parlamentarier zu sein, ist ein Privileg. Und daß die Grünen dieses Privileg haben, ist nicht allein Verdienst der Parlamentarier, sondern vieler Leute, die in vielen Bereichen arbeiten.

Moderne Organisationsformen müssen heute viel mehr Kreativität, Durchlässigkeit, Offenheit, Innovationsfähigkeit beinhalten, als man früher gedacht hat. Die alten Parteien setzen sehr stark auf das Element der Erfahrung als höchstes Qualifikationsmerkmal.

Und du plädierst für ein modernes Management?

Tiefenbach: Ja, ich finde neben den basisdemokratischen Argumenten ist es allein vom Standpunkt eines modernen Politikmanagements Wahnsinn, diese dumpfe, starre Organisationsform der anderen Parteien zu übernehmen.

Fragen: Dirk Asendorpf