: Alte Zweifel und neue Hoffnung in Rheinhausen
Der Zusammenbruch der DDR-Stahlindustrie eröffnet für den Krupp-Hochofen in Rheinhausen neue Überlebenschancen / Krupp-Vorstandsmitglied Meyerwisch enttäuscht Stahlarbeiter auf Belegschaftsversammlung / Ab jetzt Gespräche über Zukunft des Werkes ■ Aus Rheinhausen Walter Jakobs
Nur einmal wird es auf der Belegschaftsversammlung der Rheinhausener Stahlkocher am Donnerstag wirklich laut. Dafür sorgt Betriebsratschef Manfred Bruckschen, der am Ende seiner Rede mit einer leisen Drohung in Richtung des Vorstandes der Krupp-Stahl AG die aufmerksame Stille im Saal in eine trotzige Protestatmosphäre verwandelt. Wenn der Vorstand sich nicht endlich zu ernsthaften Verhandlungen über den Weiterbetrieb der Stahlhütte bereit finde, werde man auf andere Mittel zurückgreifen müssen. Welche Mittel das sein könnten, ließ Bruckschen offen. Aber daß an dieser Stelle überhaupt wieder heftig applaudiert wurde, wertete der Zweite Vorsitzende Theo Steegmann später als Beleg dafür, daß „die Stimmung im Betrieb wieder nach oben geht“.
Zwei Jahre nach Ende des spektakulärsten Arbeitskampfes in der Bundesrepublik gibt es begründete Hoffnung, daß das Rheinhausener Stahlwerk als ein „Ein-Hochofen-Modell“ weiterbetrieben wird. Eine Option, die zwar allein auf das Konto der guten Stahlkonjunktur und des absehbaren Zusammenbruchs der nicht konkurrenzfähigen DDR -Stahlindustrie geht, die aber ohne das zähe Ringen um die Hütte gar nicht existierte. „Ohne diesen Kampf“, das steht für Theo Steegmann fest, „wären wir schon 1989 längst platt gewesen.“ Am Ende der 160 Tage andauernden Auseinandersetzung stand im Mai 1988 eine Vereinbarung, die neben dem Strecken der Stillegung und dem Versprechen von Ersatzarbeitsplätzen auch eine Klausel enthielt, wonach über die für Ende 1990 geplante Stillegung Mitte des Jahres 1990 erneut Gespräche zwischen Vorstand und Betriebsrat aufzunehmen sind.
Genau darum geht es heute. Inzwischen liefert zwar die von Krupp und Mannesmann gemeinsam gegründete „Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH“ (HKM) ein Großteil des von Krupp benötigten Rohstahls, aber die Kapazität reicht nicht. Für die Krupp'sche Warmbreitbandstraße in Bochum, die monatlich 310.000 Tonnen Stahl verarbeitet, braucht man derzeit etwa 90.000 Tonnen aus Rheinhausen. Schlösse man die dortige Hütte, müßte diese Tonnage auf dem freien Markt zugekauft werden. Und das könnte angesichts des immer noch anhaltenden Stahlbooms sehr teuer kommen. Zum Überleben des Einofenbetriebes reichte diese Menge gleichwohl nicht aus. Schon aus technischen Gründen muß Rheinhausen 120.000 Tonnen pro Monat produzieren. Die Differenz hofft der Krupp -Vorstand in der DDR verkaufen zu können. Mit einem Werk in Oranienburg ist man inzwischen über den Zukauf von 10.000 Tonnen handelseinig. Über weitere Vereinbarungen wird heftig spekuliert. Dabei sorgte eine 'Spiegel'-Meldung in Rheinhausen für Aufregung. Demnach hat der oberste Krupp -Chef Gerhard Cromme mit dem DDR-Kaltwalzwerk Salzungen des DDR-Kombinats Hermann Matern einen Vorvertrag über die monatliche Lieferung von 50.000 Tonnen abgeschlossen. Rheinhausen, so der 'Spiegel‘, „ist gerettet“. Das mag der Vorstand nicht hören. Die Meldung sei „leider nicht richtig“, sagte Vorstandsmitglied Karl Meyerwisch. Schon aus technischen Gründen - „das Werk Salzungen kann nur 4.000 bis 5.000 Tonnen verarbeiten“ - könne die Meldung nicht stimmen. Ein nur scheinbar stichhaltiges Dementi, denn zum Kombinat Hermann Matern gehört auch das wesentlich größere Walzwerk Burg in der Nähe von Magdeburg.
Am 12. Juni trifft sich der Krupp-Vorstand mit dem Betriebsrat. Bestünde Gewißheit über den Absatz und damit über das betriebswirtschaftliche Interesse des Krupp -Vorstands am Weiterbetrieb, ließe sich für den Betriebsrat mehr rausholen. Letztendlich geht es darum, mit wievielen der jetzt noch 3.020 Beschäftigten der Rheinhausener Stahl künftig gekocht wird - und für wie lange. An einem Hinauszögern der Stillegung für ein paar Monate hat niemand Interesse. Dann, so ein Stahlkocher, solle man „den Laden lieber sofort zumachen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen