: „ANSCHLUSS ANS WUNDER“
■ „Überlebensgroß Herr Krott“ der Studiobühne der Freien Universität
Krott, Großindustrieller wie Krupp und Gott, wächst das Geld zwischen den Fingern. Er aber vegetiert, gelangweilt von der Regelmäßigkeit des Wachstums, in einem Betrieb deutscher Dienstleistung im Hochgebirge dahin. Krott war und ist das Wunderkind des Wirtschaftswunders und darf wie alle Vampire nicht sterben. Deutschland wird ihn jetzt brauchen.
Zum einen schwände sonst tatsächlich die letzte Zufluchtsstätte des Erotischen, die Perversion aus der Welt. Krotts Körper ist längst abgestorben und gefühllos, aber die Macht verpflanzt ihr Begehren in die Organe der Untertanen. Der Zimmerkellner frißt stellvertretend, was Krott nicht mehr selbst runterkriegt. Das Auge der Macht ist ein Voyeur, der Ekel der Überfütterung ist seine Lust.
Krott hat zwei Frauen. Die eine, das angetraute Elfchen, ist lasziv, der Lethargie und dem Schlaf verfallen, ein verblichenes Dornröschen. Es ist der Tag der diamantenen Hochzeit. Sie existiert als abwesendes Bild, man denkt an die letzten Fotos Marylins. Die andere, die ihr den Mann abspenstig macht seit 60 Jahren, ist ihre Schwester Mafalda und so ordinär wie nötig, damit noch was passiert. Elfchen will alles, Mafalda seine Hand oder auch nur seinen Finger. Elfchen muß ständig barbituriert werden. Geredet wird mit ihr nur in Tierlauten und in Pitsche-Patsche-Reimen. Dann ist alles gut. Oder jeden Tag besteigt ein neuer Bergsteiger die Höhen und stürzt ab nur für sie. Aber die Infantilität der Macht pflanzt sich in alle Kreise fort.
Eine parasitäre Dienerfamilie findet ihr Auskommen in der Organisation der Unterhaltung. Die Mutter verdient das zusätzliche Geld, das gebraucht wird, um den Sohn Musik studieren zu lassen, als „Pediküre“. Wenn sie Krott zwischen die Zehen küßt, ist es kein Symbol für die verkehrten Verhältnisse, sondern einfach perverse Lust und Spaß. Der Zimmerkellner regelt den Zutritt der anderen Personen. Das sind ansuchende Untergebene, die immer auf dem Gang warten und durch tagelanges Sitzen zermürbt werden, damit endlich ein unberechenbarer Ausbruch geschehe und etwas aus der Bahn geriete, ein sauberer Zorn sich erzeuge. Die Diener lenken devot nach dem Willen des Herrn. Über Generationen hinweg. Der Zimmerkellner lehnt das angebotene Du zum Herrn nicht ab, um seine Würde zu wahren, sondern allein, um seine Dienerseele für alle Zeiten zu retten.
Revuenummern aus Tutti-Frutti und Live-Werbung für deutsche Diät-Produkte lassen die Realität aufstehen. Grinsend teilen wir Krotts Ennui. Ich war Krott.
Vielleicht ist Walsers Stück tatsächlich deshalb wieder als Klassiker inszenierbar, weil noch und wieder die Wirtschaft als säkularisiertes Wunder alle Wirklichkeit zart dominiert. Selbst wenn die Produkte unbrauchbar und die Waren uneßbar sind. Die Tiefe der Bühne ist angefüllt mit Verpackungen und Müll. 1962, als das Überlebensgroß Herr Krott geschrieben wurde, zur Zeit des Wirtschaftswunders, mögen die Geräte, Büstenhalter und Autos, Kosmetika und Küchengeräte als funktionierende ihren Zauber ausgeübt haben - jetzt brauchen die Waren nur noch als Verpackung und Werbespruch zu existieren. An ihr Versprechen, die Zeit totzuschlagen, zusammengeschrumpft auf den Augenblick des Auspackens, erinnern einzig noch die übrig gebliebenen Schachteln auf dem Müllhaufen. Strick aus der DDR will, was er sich nicht zu sagen traut. Kapitalismus ist jeden Tag Weihnachten.
Marx machte sich einmal über Hegels Behauptung lustig, alle weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen würden sich sozusagen zweimal ereignen. Er hätte vergessen hinzuzufügen, so Marx: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Und weiter: Und wenn die Gehirne der Lebenden eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Episoden revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit..., um in der altehrwürdigen Verkleidung und mit der erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen.
Wäre das Wirtschaftswunder die vergleichsweise harmlose Farce-Version der kurz zuvor zerstörten Blüte der Großdeutsch-Macht. Was ist dann eine Farce der Farce? Bernd Mottls Wiederaufnahme von Walsers Stück als Produktion der Studiobühne der FU gibt davon die aktuelle Vorstellung.
nikoff
Mit Ingo Schweizer, Michaela Sauerwald, Monika Richard, Alexander Vial, Ulrike Kitzing, Stefan Bachmann, Torsten Löhn, Mathias Kusche, Gunar Möller und Gesine Cukrowski im R.A.M.M.-ZATA, jeden Abend außer Di, 20 Uhr.
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