: In der Idylle hat sich's ausgeplombt
■ Ein Besuch in der Zollstation Schwemmhorn in Kladow: Die Tage der Wasserzöllner an der Havel sind gezählt / Ohne Grenze gibt es im deutschen Binnenland bald nichts mehr zu kontrollieren
Kladow. Ein paradiesisch schön gelegener Arbeitsplatz ist die Zollschiffstation Schwemmhorn in Kladow - gegenüber der Pfaueninsel, weit südlich an der Havel. „Sehr verhalten“ ist an diesem Arbeitsplatz am Wasser mittlerweile die Stimmung, berichtet Zolloberamtsrat Gerhard Roggemann. Der Grund: Währungsunion und Maueröffnung haben die insgesamt drei Berliner Zollstationen am Wasser überflüssig gemacht. Die Stationen werden demnächst geschlossen. Die Zukunft der 70 Westberliner Wasserzöllner beschreibt Roggemann, ein großer, ernster Mann, nüchtern: arbeitslos soll keiner werden, von Vorruhestand ist die Rede und davon, daß vielen ein Wechsel vom Wasser ins Büro bevorsteht.
Dennoch erhält das Zollschiff „Schöneberg“ in der zolleigenen Miniwerft noch einmal einen frischen weiß-grünen Schutzanstrich, und noch gehen die „Steglitz“ und die „Zehlendorf“ längsseits, um die Frachtpapiere der auf der Havel ein- oder ausfahrenden Lastkähne zu kontrollieren und zu stempeln. Im Schnitt steuern sie 140 bis 150 Schiffe am Tag an. Wechselseitige, jahrelang eingeübte Routine: der Schiffer reicht die Frachtpapiere ins neben ihm dümpelnde Zollschiff hinüber. Ein Blick auf die Ladung, fertig. Viele der ausfahrenden Kähne, große Schubverbände unter DDR -Flagge, transportieren Bauschutt-West ins Umland-Ost - in jüngster Zeit unter wachsendem Protest der DDR-Bevölkerung.
An ein bis zwei Tagen im Monat kontrollieren die Zöllner zusätzlich die Kajüten der Frachter, eine Prozedur, die ihnen fast genauso unangenehm ist wie den Schiffern, die zu ihrem Kahn oft ein innigeres Verhältnis haben als der Hausherr auf dem Trockenen zum Eigenheim. Selten werden hier aber Schnaps und Zigaretten sichergestellt - die großen Fische unter den Schmugglern gehen den Zöllnern nicht hier ins Netz, sondern den Kollegen zu Lande, wenn diese Lunte gerochen haben und beim Entladen der Schiffe im Hafen oder an der Ladestraße Detektiv spielen. Da ist es dann schon einmal vorgekommen, daß unter einer Ladung Baukies 5.000 Flaschen Wodka zum Vorschein kamen oder unter Tonnen von Braunkohle polnische Daunenfedern versteckt waren.
Mehr Ärger als mit Schmugglern hat es aber auch auf der Zollstation mit den Auswüchsen des Kalten Krieges gegeben. Die Kontrollwillkür der Kollegen von der benachbarten Zollstation-Ost in Nedkitz wurde ein wenig eingedämmt, als mit dem Transitabkommen 1971 das Verplombungsgesetz in Kraft trat. Ausgiebige Kontrollen der Schiffsladungen durch die Ost-Zöllner gab es jetzt nicht mehr - die Luken waren ja dicht und verplombt - dafür hielten sich Kalte Krieger jetzt an den Plomben selber schadlos - und begutachteten diese hemmungslos. War das winzige Siegel mit dem Bundesadler nicht genau in der Mitte des Bleis gestanzt oder an den Rändern rissig, gab es sofort Beanstandungen. Dann mußten die Kladower Zöllner, oft bei Nacht und Nebel und schwerem Seegang, noch einmal hinaus zum Frachter fahren und mit klammen Fingern die Plombe erneuern. Im jahrelangen Plomben -Kleinkrieg spiegelte sich das politische Großklima wider.
Das sind nun Geschichten von gestern. Das Verplombungsgesetz ist zwar noch nicht aufgehoben, verplombt wird aber nur noch selten. Und dann trifft es meistens die Tanker - denn es soll verhindert werden, daß wie billiges Heizöl eingefärbter Diesel illegal und steuergünstig auf dem Berliner Markt landet.
Kurz nach der Wende statteten die Kollegen-Ost den Kollegen -West auf Schwemmhorn einen ersten Besuch ab. Als Gastgeschenk überreichten sie einen Wimpel, ringsherum dekoriert mit Schulterstücken der eigenen Uniformen, vom Zollsekretär bis zum Offizier. Die bräuchten sie jetzt sowieso nicht mehr, heißt es auf Schwemmhorn, da die gesamte Kompanie noch kurz vor dem November '89 einen Rang nach oben befördert worden sei... Ob ihnen das ihren Arbeitsplatz sichern wird, ist indes mehr als fraglich, denn von den derzeit 1.400 DDR-Zöllnern sollen künftig nur 350 weiterbeschäftigt werden, an den deutschen Außengrenzen.
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