: Die BRD mißachtet Südafrika-Sanktionen
Die Europareise des ANC-Führers Nelson Mandela wird von der Debatte über Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika geprägt / Auch auf dem kommenden EG-Gipfel wird darüber diskutiert werden / Die BRD hat sich mittlerweile zum größten Handelspartner Südafrikas gemausert ■ Aus Johannesburg Hans Brandt
Eine heftige Debatte zwischen Nelson Mandela und Südafrikas Präsident Frederick de Klerk steht im Hintergrund der derzeitigen Europareise des Vizepräsidenten des Afrikanischen Nationalkongreßes (ANC). Mandela befindet sich nur drei Wochen nach de Klerk in Europa. De Klerk führt die jüngsten Reformen seiner Regierung als Grund für die Aufhebung von gegen Südafrika verhängten Sanktionen an. Mandela fordert die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen und diplomatischen Drucks auf die Regierung.
Die Debatte erhält nun neue Brisanz, weil die Europäische Gemeinschaft bei ihrem Gipfel am 25. Juni in Dublin Sanktionen gegen Südafrika diskutieren wird. Darauf wollen sowohl Mandela als auch de Klerk Einfluß nehmen.
Auch die Beendigung des Ausnahmezustandes in drei von vier südafrikanischen Provinzen letzte Woche ist ein Signal an die EG. In diesem Zusammenhang kritisierte de Klerk erneut das Festhalten des ANC an Sanktionen: „Erkennt (der ANC) denn nicht, daß Sanktionen den wirtschaftlichen Aussichten aller Südafrikaner schaden?“
Mandela betont hingegen, daß de Klerk noch keine grundsätzlichen Änderungen der Apartheidpolitik eingeleitet habe. „Wenn Sanktionen jetzt beendet würden“, sagte Mandela letzte Woche zu Beginn seiner sechswöchigen Auslandsreise, „dann wäre das wie ein Stich in den Rücken der Befreiungsbewegung.“ Die Regierung habe die grundsätzliche Forderung der schwarzen Mehrheit nach einem System „ein Mensch eine Stimme in einer demokratischen Gesellschaft“ noch nicht erfüllt.
Europäische Diplomaten erwarten von dem Gipfel keine Lockerung der Sanktionen, obwohl de Klerk zweifellos für seine Reformschritte gelobt werden wird. Die EG wird wahrscheinlich einen Beschluß der UNO-Vollversammlung abwarten, der am 1. Juli ein umfassender Bericht zur Situation in Südafrika vorgelegt werden soll. Wenn die UNO Fortschritte in Südafrika feststellen sollte - und das ist fast sicher - könnte beim nächsten EG-Gipfel die Lockerung einzelner EG-Maßnahmen gegen Südafrika folgen. Gedacht wird dabei an die Aufhebung von Kultur- und Sportboykotten.
Für den ANC sind Sanktionen ein besonders wichtiges Druckmittel im anlaufenden Verhandlungsprozeß mit der Regierung. Befürchtet wird, daß eine vollkommene Aufhebung von Sanktionen diesen Prozeß erheblich bremsen würde. „Wenn man akzeptiert, daß dieses Regime nur unter Druck Zugeständnisse gemacht hat“, sagt Mohammed Valli Moosa, ein ANC-Vertreter in Johannesburg, „was würde dann passieren, wenn der Druck plötzlich verschwindet?“
Moosa zufolge wünscht der ANC eine Aufhebung von Sanktionen erst, wenn die Rahmenbedingungen für eine neue Verfassung in Südafrika feststehen, wenn die Abschaffung der Apartheid nicht mehr umkehrbar ist. Zur Zeit geht es bei den Veränderungen in Südafrika um die Beseitigung von Hindernissen auf dem Weg zu substantiellen Verhandlungen. Die Abschaffung von Rassentrennung in öffentlichen Einrichtung oder die Aufhebung des seit 1986 gültigen Ausnahmezustandes ändert noch nichts an den politischen Machtverhältnissen.
Die deutlichste Auswirkung der Sanktionen ist psychologischer Art. Die südafrikanische Regierung sehnt sich nach der Wiederaufnahme des Landes in die internationale Gemeinschaft. Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen gibt es dagegen divergierende Untersuchungen.
Da ist einerseits die Rede von Tausenden von Schwarzen, die aufgrund von Sanktionen ihre Arbeit verloren haben sollen. Behauptet wird auch, daß Südafrika Milliardenverluste bei Exporterlösen und Investitionen hinnehmen mußte. Und das Washingtoner „Forschungszentrum für Investorenverantwortlichkeit“ will von Sanktionen verursachte Verzerrungen in der südafrikanischen Wirtschaft festgestellt haben, die noch Jahrzehnte andauern werden.
Von anderen Experten werden diese Behauptungen angegriffen oder widerlegt. Schwerwiegend für Südafrika waren zweifellos Finanzsanktionen, die dem Land den Zugang zu internationalen Finanzquellen versperrt haben. Die südafrikanische Wirtschaft ist in den achtziger Jahren nicht gewachsen - zum Teil aufgrund von Sanktionen, zum Teil wegen anderer politischer und wirtschaftlicher Faktoren.
Als am wenigsten effektiv erwiesen sich die bisherigen Handelssanktionen: Exportvolumen und -erlöse sind trotz der Sanktionen gestiegen. Auch die von der EG verhängten Beschränkungen von Stahl- und Kohleimporten aus Südafrka sind in vielen Ländern nicht befolgt worden. Nicht zuletzt die Bundesrepublik hat die EG-Sanktionen sträflich mißachtet. Seit Verhängung von Sanktionen hat die BRD sich sogar zum größten Handelspartner des Apartheidstaates gemausert. 1988 betrug das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern 5,06 Milliarden Dollar.
Auch das von der EG verhängte - freiwillige - Verbot von Neuinvestitionen in Südafrika haben deutsche Firmen größtenteils ignoriert. Im September 1986 wurden Sanktionen verhängt. Im daruffolgenden Jahr stiegen die Investitionen der BRD in Südafrika mit 303 Millionen D-Mark auf 1,669 Milliarden. Das Importverbot für Stahlprodukte wurde ebenfalls ignoriert. Kohle aus Südafrika kommt nach wie vor in die BRD, zum Teil deklariert als Kohle aus den Niederlanden - wo seit zehn Jahren keine Kohle mehr gefördert wird. Über Hamburg sind zusätzlich jährlich etwa 400.000 Tonnen südafrikanische Kohle in die DDR und andere osteuropäische Länder gelangt.
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