: Angeklagter ratlos: Kiloweise Koks unterm Hemd
■ Peruaner soll zwei Kilo Kokain aus dem Überseehafen geschmuggelt haben / Angeklagter: Arglose Gefälligkeit für entfernten Bekannten
Es ist eben doch nichts so ungewöhnlich wie das wirkliche Leben. Im „wirklichen Leben“ muß es z.B. Leute geben, die Plastik
beutel, auf die nackte Haut geklebt und durch gewöhnliche Herrenoberbekleidung kaschiert, für die natürlichste Form des Tü
ten-Transports überhaupt halten. Für solche Menschen ist es offensichtlich auch ganz und gar nichts besonderes, sich eine kleine Ge
fälligkeit, etwa eine Taxifahrt in den Übersee-Hafen, von guten Bekannten mit einer ebenso kleinen Aufmerksamkeit von 5000
Dollar entgelten zu lassen.
Ganz und gar entgeistert sind solche Leute nur, wenn sie sich anschließend doch tatsächlich auf einer Anklagebank und fünf Richtern gegenüber wiederfinden. Nun verstehen sie die Welt wirklich nicht mehr und grübeln, wie man wohl auf die Idee kommen kann, ausgerechnet sie mit kriminellen Drogengeschäften in Verbindung zu bringen. Dabei hilft ihnen nicht einmal ein Hinweis auf die Gedanken-Sprünge, daß in ihren körpernah transportierten Plastiktüten doch tatsächlich Kokain gefunden worden sei. Sie können sich partout nicht erklären, wie das da wohl hingekommen sein könnte.
Daniel Teodoro G. gehört zu diesem selten gewordenen Schlag hilfsbereiter Menschen, denen ihr Leben immer wieder unerklärliche Rätsel aufgibt und die undurchschaubare Fügungen des Schicksals plötzlich vor die vierte große Strafkammer des Landgerichts verschlagen haben. Grund: Die Staatsanwaltschaft zog aus dem Umstand, daß Bremer Zollfahnder im Überseehafen im Juni letzten Jahres unter G.s Oberhemd zwei Plastikbeutel mit insgesamt zwei Kilo Kokain fanden, den kühnen Schluß, G. könne vielleicht in Drogengeschäfte verwickelt sein.
Nach neunmonatiger Untersuchungshaft hat G. nun seit gestern endlich Gelegenheit, fünf Bremer Richter von der Absurdität der staatsanwaltlichen Erwägungen zu überzeugen. Und: Teodoro G. hat eine ganze Palette höchst harmloser Erklärungen für die unvorteilhafte Lage, in der ihn die Zollfahnder seinerzeit antrafen. Allen gemeinsam ist, daß sie M. als im Grunde ausgesprochen hilfsbereiten Menschen ausweisen, dem allenfalls eine gewisse menschenfreundliche Gutgläubigkeit nachzusagen ist: Bei einem gelegentlichen Kneipenbummel in seinem Wohnort Antwer
pen bot dem arbeitslosen Seemann G. ein wildfremder Mann einen Job auf einer Bohrinsel an, drückte ihm leihweise 1.000 Gulden Reisegeld in die Hand mit der Maßgabe, sich in Bremen zu einem bstimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Kneipe einzufinden, um sich von dort an seinen Arbeitsplatz übersetzen zu lassen. Darauf verschwand der Unbekannte, ohne sich um die Rückzahlung des großzügig gewährten Reise -Kredits zu bekümmern, während G. - höchst interessiert an einer seriösen Tätigkeit auf einer Meeres-Plattform - sich auf nach Bremen machte.
Tatsächlich traf er in Bremen am besagten Treffpunkt einen älteren Herren, der die weiteren Kontakte zu seinem neuen Arbeitgeber vermitteln wollte, zuvor allerdings um eine kleine Gefälligkeit bat und für ihre Erledigung 5.000 Dollar auslobte. Im Schuppen 14 des Überseehafens seien vor der Abreise auf die Bohrinsel noch zwei Pakete abzuholen. G., grundsätzlich gefällig und 5.000 Dollar nicht abgeneigt, erklärte sich bereit, ohne seinen neuen Freunden oder gar sich selbst auch nur im entfernesten Gesetzwidriges zuzutrauen, holte die Päckchen, wurde gefilzt und zu seiner Verwunderung verhaftet.
Verwundert war wenig später auch ein zweiter Mann, der sich zur gleichen Zeit in einem Bremer Hotel von einer durchzechten Nacht erholte und plötzlich von einem Trupp Bremer Polizeibeamter aus dem Hotelbett geholt wurde.
Wenn G., der vor Gericht gestern mehrfach beteuerte, nichts als die Wahrheit zu sagen, recht hat, handelt es sich bei ihm um einen wirklich gemeinen Drogenhändler, der unschuldige Menschen nichtsahnend in seine finsteren Geschäfte verwickelt. Das Gericht hat noch vier weitere Verhandlungstage angesetzt, um diese Frage zu klären.
K.S.
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