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Kommt die Randale - oder nicht?

Die „Hooligans“ auf Sardinien benehmen sich friedlich - sehr zum Entsetzen der Journalisten  ■  Aus Cagliari Werner Raith

„Goddam“, knurrt am Montag abend vor Englands 1:1 gegen Irland Billy Maugham, genannt Speedy, „was die Krauts da fertiggebracht haben - alle Achtung. Für uns leider eine Sauerei: genau das, was wir auch vorhatten. Das geht jetzt natürlich nicht mehr, sähe zu nachgemacht aus.“ Kollege George, der auf den kriegerischen Namen „Overkill“ hört, sieht „unsere Reputation schwer in Gefahr, wir müssen unbedingt endlich mal losdreschen.“

Tatsächlich hängen die meisten martialisch Aufgeputzten vor dem ersten Spiel ihrer Mannschaft - obwohl es gegen Erzgegner Irland geht, mit dem man nicht nur politisch, sondern auch wegen des 0:1 bei der EM 1988 ein Hühnchen zu rupfen hätte - eher träge und lustlos herum. Die massive Präsenz von Polizisten und Carabinieri ist es dabei aber sicher nicht, die die Fans einschüchtert: die wären ja, neben gegnerischen Schlachtenbummlern, eines der Hauptangriffsziele; auch wenn sie so massiv auftreten, daß man kaum fünf Meter gehen kann, ohne kontrolliert zu werden und später so mancher Beobachter bereits mehr Ordnungshüter als Zuschauer im Stadion vermutet.

Was den „neuen Barbaren“ (Titel der 'La Repubblica'-Beilage „i venerdi“) zu schaffen macht, ist das Wetter: Schwere Wolken hängen am Himmel, tatsächlich wird es die zweite Spielhälfte total verregnen. „Und das passiert ausgerechnet uns“, murrt Jacky („The second Ripper“), „die wir Regen das ganze Jahr über gewohnt sind.“ Aber es ist ein warmer, ungemütlicher Regen, verbunden mit einem böigen Wind, der „erstens dein Hirn austrocknet und zweitens jeden Gegner eher zum Unterwerfen als zum Zurückhauen veranlaßt, und dann machts überhaupt keinen Spaß.“

Kein Zweifel, der Hooligan-Krieg findet derzeit - wenn überhaupt - auf verbaler Ebene statt: beim Anmarsch der beiden Fan-Gruppen durch die Straßen Cagliaris ertönten zwar die schauerlichsten Kriegsgesänge, und alle Mitglieder des jeweilig anderen Staates wurden in allerlei Höllenqualen versenkt; auch nach dem 1:1 erklangen noch ein paar an Asterix‘ Dorf gemahnende Gröhlerien, aber dabei blieb es. Nur schwer vorstellbar, was da eigentlich am Montag abend passiert sein soll, wo die Polizei und die Medien doch auch hier von massiven Ausschreitungen im Zentrum der Stadt berichtet haben.

Doch die Fernsehbilder, insgesamt sowieso nur wenige, zeigen eher Merkwürdiges: eine Gruppe Burschen, die auf einen niederstürzenden jungen Mann einschlagen, bis dieser liegenbleibt; dann kommen Polizisten herangestürzt, die aber dem blutenden Menschen auf der Erde nicht etwa helfen, sondern ihn an den Haaren zerren.

Die Vermutung, die Angreifer seien ebenfalls Polizisten gewesen, in Zivil, schwingt deutlich in den Kommentaren mit. Jedenfalls fühlt sich, bisher wenigstens, keine Fan-Gruppe direkt betroffen, weder gedemütigt von gegnerischen Kampfeinheiten noch von den Ordnungskräften.

Das freilich macht wieder einer anderen Spezies von Cagliari-Besuchern schwer zu schaffen - den Journalisten. In ganzen Rudeln durchstreifen derzeit z.B. bundesdeutsche Zeitungs- und Fernsehspäher die Straßen der südlichen Inselhauptstadt, haben Posten in allerlei abenteuerlichen Verstecken an der Via Roma nahe dem Hafen bezogen - dort erwarten die Hooligans neu eintreffende Kombattenten - und schneiden, teils mit hochsensiblen Richtmikrophonen, jeden Ton mit, wohl in der Hoffnung, etwas über konspirative Treffs, Verabredungen oder Losschlagzeiten zu erfahren.

Je mehr sich jedoch die Hoffnung zerschlägt, daß sich, zur Kompensation oder zum Vergessenlassen der Missetaten unserer „Fußball-Iditoten“ ('Bild‘) auch andere Tifoserien schlecht benehmen, umso aggressiver werden auch die Schreiberlinge.

Fast mit leuchtenden Augen nehmen Kollegen dann die Meldung des staatlichen Fernsehens RAI auf, das gegen Mitternacht, als abolut keine Hoffnung mehr auf Schlägereien vorhanden ist, die tröstliche Mitteilung vorträgt, daß „heute alles ruhig abgelaufen ist, die Experten aber große Zusammenstöße für das nächste Spiel, England gegen Niederlande, befürchten: viele Reiseagenturen haben die Billetts verwechselt, sodaß die Fans der Niederlande zum Teil in die Kurve der Bitannen geraten werden und umgekehrt.“

Ente oder nicht: holländische Fans und englische Zuschauer, ihres angeblichen Glücks einer Präsenz beim Gegner-Troß noch nicht bewußt, berichten jedenfalls mittlerweile von immer mehr neugierigen Fragen speziell deutscher Reporter, welche Platznummer denn auf ihrer Eintrittskarte steht. Aufklärung darüber, daß sie da möglicherweise in den Hexenkessel geraten, gibt ihnen danach allerings meist keiner.

Die Journaille braucht die Randale, wozu ist sie sonst hergekommen?

ENGLAND: Shilton - Stevens - Walker, Butcher, Pearce Gascoigne, Robson, Waddle, Barnes - Lineker (84.Bull), Beardsley (69.McMahon)

IRLAND: Bonner - Morris - McCarthy, Moran, Staunton Houghton, Townsend, McGrath, Sheedy - Aldridge (63.McLoughlin), Cascarino

Zuschauer: 35.238

Tore: 1:0 Lineker (9.), 1:1 Sheedy (73.)

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