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Freedom & Democracy

Was ist eigentlich Marktwirtschaft? (9.Teil)  ■  1*1 der Marktwirtschaft

Braucht die Demokratie die Marktwirtschaft? Ist die Freiheit der Wirtschaft die Grundlage für eine freie Gesellschaft? In den Augen des Wirtschaftsliberalismus gilt sowohl das, als auch der umgekehrte Zusammenhang: Die freie Marktwirtschaft braucht, um zu funktionieren, eine liberale Politik. „Laisse -faire“ hieß das früher - das „Gewährenlassen“ der Gesellschaft durch den Staat. Freiheit ist hier negativ definiert: als Zurückhaltung des Staates, der sich nicht oder möglichst wenig einmischt. Statt dessen soll er die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen garantieren, in denen sich die Marktwirtschaft entfalten kann: Neben der Freiheit der Wirtschaft und der Freiheit der Individuen soll er das Funktionieren der nationalen Ökonomie mit minimaler Intervention sicherstellen. Letzteres vor allem durch eine Wirtschaftspolitik, die sich ganz auf die Stabilisierung des Geldwertes konzentriert.

Demgegenüber steht die Freiheit der Politik, also die Freiheit einer Gesellschaft, sich selbst zu gestalten. Interessanterweise ist die Geschichte voller Beispiele dafür, daß gerade in den Hochzeiten des Wirtschaftsliberalismus die politischen Gestaltungsspielräume aufs Äußerste eingeengt waren.

Der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi hat das für die wirtschaftsliberale Phase der 20er Jahre analysiert: „Die Stabilisierung der Währungen wurde zum zentralen Anliegen des politischen Denkens der Völker und der Regierungen... Die Rückzahlung von Auslandskrediten und die Rückkehr zu stabilen Währungen wurden als Prüfsteine rationaler Politik gewertet, und kein privates Leid, keine Verletzung der Souveränität wurde als ein zu großes Opfer gewertet... Sogar der Verzicht auf nationale Rechte und der Verlust verfassungsmäßiger Freiheiten wurden als angemessener Preis für die Erfüllung der Forderung nach einem ausgeglichenen Budget und einer gesunden Währung betrachtet, jenen vorrangigen Grundsätzen des Wirtschaftsliberalismus.

Mit frappierender Genauigkeit beschreiben diese Sätze die heutige Situation der lateinamerikanischen Länder nach dem Triumphzug des Wirtschaftsliberalismus in den 80er Jahren. Die politische Gestaltungsfreiheit lateinamerikanischer Politiker erschöpft sich heute in der Frage, wie dem Haushaltsdefizit und dem Währungsverfall zu Leibe gerückt werden kann. Längst ist hier der Markt zum heimlichen Diktator geworden, dem politische Freiheiten und sogar Grundrechte geopfert werden.

Gabriela Simon

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