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Moskau sagt Ja zu Nato-Deutschland

■ Grundsatzrede Gorbatschows / Umwandlung der Nato in politische Organisation Vorbedingung / Anwesenheit von US-Truppen in Europa kein Problem / Kohl: Nicht annehmbar / Vorstellbar sei Nichtsangriffspakt

Moskau/Bonn (afp/dpa) - Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow hat am Dienstag eine assoziierte Nato -Mitgliedschaft eines vereinigten Deutschlands als gangbaren Weg bezeichnet. Allerdings müßte das westliche Militärbündnis in eine politische Organisation umgewandelt werden, sagte Gorbatschow in einer vom Fernsehen übertragenen Rede vor dem Obersten Sowjet. „Wir wollen heute für immer von den zwei Blöcken in Europa fortkommen“, sagte der sowjetische Präsident. Kanzler Kohl lehnte diesen Vorschlag Gorbatschows als völlig unakzeptabel ab, weil er Sinn und Grundlage des westlichen Bündnisses völlig verkenne.

Offenbar ist die Bundesregierung nach den Gesprächen zwischen Genscher und Schewardnadse in Brest davon überzeugt, die Sowjetunion noch ganz auf ihre Linie ziehen zu können. Kohl dazu in Bonn: „Wir sind mitten in den Verhandlungen.“ Es werde viel gepokert.

In Washington schlug DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere nach seinem Besuch im Weißen Haus vor, in Zukunft Gremien der Nato und des Warschauer Paktes gemeinsam einzuberufen und damit bereits ein ständiges Forum für die gesuchten gesamteuropäischen Konsultationen zu schaffen.

In seiner Rede vor dem Obersten Sowjet sagte Gorbatschow an die Adresse der USA, die eine Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands fordern, die Sowjetunion sei einverstanden mit einer Nato-Mitgliedschaft Deutschlands, wenn die USA eine assoziierte Mitgliedschaft und das Prinzip einer Annäherung der beiden militärischen Blöcke in Verbindung mit dem deutschen Einigungsprozeß akzeptieren würden. Die beiden Blöcke sollten sich während des Einigungsprozesses im Sinne der Wiener Verhandlungen und des gesamteuropäischen Umwandlungsprozesses verändern, hieß es.

Beide Teile Deutschlands sollten während des Einigungsprozesses ihre bestehenden Verpflichtungen gegenüber jedem der beiden Militärbündnisse beibehalten. Die amerikanische Präsenz in Europa ist nach den Worten Gorbatschows „ein Element der strategischen Stabilität“ und für die UdSSR „kein Problem“. Washington sollte eine militärische Präsenz in Europa aber nicht automatisch mit der Stationierung von Nato-Kontingenten gleichsetzen. Ein möglicher Austritt der Bundesrepublik aus der Nato sollte von den USA nicht „als Anfang vom Ende dieses Bündnisses“ angesehen werden. Gorbatschow betonte: „Wenn wir den Eindruck bekommen, daß man uns in der deutschen Frage ignoriert, so werden dadurch positive Prozesse in Europa ernsthaft bedroht.“ Während die USA beim Gipfeltreffen zwischen Bush und Gorbatschow Anfang des Monats fest auf ihrer Position bestanden hätten, so habe Washington danach angefangen zu überlegen, sagte Gorbatschow unter Berufung auf die Treffen zwischen dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse und seinem US-Kollegen James Baker in Kopenhagen.

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