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Gerken ohne Gerkens

■ Vom harten Veranstaltungsklima vergrätzt, verlassen die Kneipiers Gerken die Stadt

Als er etwa 14 Jahre lang die Kneipe „Gerken“ betrieben hatte, dachte sich Rolf Gerken: „Jetzt ist's genug.“ Und Doris Gerken, die in den letzten fünf Jahren den Veranstaltungsbetrieb gemanagt hat, stimmte schnell zu, denn in letzter Zeit waren sie beide zu dem Schluß gelangt, daß ihr Konzept einer ursprünglichen Kneipe, die so aussieht, wie sie vor rund 100 Jahren gedacht war, mit schweren massiv -hölzernen Tischen und Stühlen, und in der sich bei eintrittsfreien Konzerten die Jazz-Szene der Stadt trifft, nicht mehr tragfähig sei.

Es hat sich eben einiges geändert. Geändert hat sich das Umfeld für Jazz-Musik, das Angebot ist breiter geworden, es sind einige Veranstalter mit besserer Kapitalausstattung hinzugekommen, die für interessante auswärtige Bands sorgen. Die Jazz-Szene konzentriert sich nicht mehr auf den einen, zentralen Ort, die Kneipe, Gerken.

So veränderte sich auch das Publikum. Versammelte sich bei Gerkens Musikveranstaltungen zunächst eine eingeschworene Gemeinde von Gläubigen einer diasporatischen Musik, die wiederholt ihre Meßkelche leerte und freundlich interessiert der Musik lauschte, so wird das Publikum

nun aggressiver, denn die enge Verbindung zwischen Musiker und Zuschauer, die nächste Woche die Plätze tauschen könnten, besteht nicht mehr. Damit wird die Musik zu etwas Fremdem, zur Ware, die Zugabe zum einklagbaren Anspruch.

Und schließlich die Musiker: Diejenigen, die gern und quasi umsonst bei Gerken spielen, weil sie die Wirte kennen, weil sie den Laden mögen oder auch nur das sorgfältig gestimmte Klavier; die Musiker, die wie Heinz Wendel einen anderen Job haben zum Brotverdienen oder wie Sigi Busch einen Namen, der sich anderswo auszahlt, die sind knapp geworden in dieser Stadt. Stattdessen sind Musiker nachgewachsen, die am Existenzminimum entlangspielen und darauf angewiesen sind, Gagen zu verlangen, die bei freiem Eintritt nicht so einfach zu erwirtschaften sind. Und die deshalb auch hart um ihre Gagen feilschen, was als VeranstalterIn wenig Freude bereitet. Kurz und gut: Die Kneipe Gerken, das alltägliche Bierzapfen im ehrwürdigen Naturholzambiente, das läuft zwar nach wie vor, aber der Veranstaltungsbetrieb, an dem nun einmal das Kneipiers-Herz hängt, ist ein Zuschußbetrieb, also frustrierend

auf Dauer.

Als das Ehepaar Gerken sich eines Tages umschaute, stand es vor einem großen, ländlichen Gasthaus mit einem großzügigen Saal-Anbau und reichlich Zimmern draußen hinter Achim. Und wie der Zufall so spielt, das Gasthaus stand leer, denn Elli, die Wirtin, hatte sich zur Ruhe gesetzt. Sie blickten sich in die Augen und dachten: „Das soll unser werden.“ Ein neues Projekt, ein größeres, nicht durch nachbarliches Ruhebedürfnis in der Schallentwicklung gehindert, mitten in der intakten ländlichen Umgebung, da kommen neue Ideen, und die Energie zu ihrer Umsetzung läßt auch nicht warten.

Ende Juni soll das neue Landgasthaus mit den ersten Veranstaltungen eröffnen, und damit wird das Ende des Bremer Kapitels der Wirtsleute Gerken eingeläutet. Zunächst werden die beiden ihre städtische Dependance noch fernsteuern, aber mittelfristig ist die Übernahme der Geschäftsführung durch Teile der jetzigen Belegschaft anvisiert. Im „VEB Gerken“ soll die Kontinuität gesichert sein, denn schließlich wollen die Gerkens ihre alte Kneipe wiedererkennen, wenn es sie einmal in die Stadt verschlagen sollte. ste

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