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CUPIDO-SITZ

■ Luc Moullets Film „Die Sitze im Alcazar“ (Frankreich, 1989) im Sputnik

Filme übers Filmemachen haben in der Zeit der sterbenden Narrativität bekanntlich Konjunktur. Filme übers Filmesehen habe ich bis jetzt noch keine gesehen. Bis heute, bis zu Luc Moullets Die Sitze im Alcazar. Ein junger Filmkritiker der 'Cahiers de Cinema‘ und Verehrer des Kult-Regisseurs Cattafavi besucht alle Filmvorführungen in dem Vorstadtkino „Alcazar“ und ist vorwiegend damit beschäftigt, seine Gegenkritikerin daraufhin zu begutachten, inwieweit sie ihn begutachtet und seine Reaktionen auf die gesehenen Filme verfolgt. Wenn er das Kino verläßt, kann er darauf wetten, daß sie es ebenfalls binnen kurzem tut. Beobachtung wird Anziehung, wechselt er aus der Kinderreihe, ohne Aufschlag zu bezahlen, ins Parkett hinter ihr. Eine Affäre entspinnt sich, die freilich das Trennende des konkurrenziellen Schreibens hat. Eine Freundin der Kritikerin muß daher an ihre Stelle treten. Bei Visconti, findet unser Kritiker, läßt sie sich gut abschmusen, da die Leinwand außer Leere sowieso nichts zu bieten hat. Er liebt eigentlich nur Cattafavi. Und seine Begleiterin nicht so sehr, daß er sich wegen ihr, die aus dem eiskalten Kino flüchtet, das Ende eines Cattafavi-Films entgehen ließe.

Der Film beleuchtet das Umfeld des Filmezeigens, erzählt von der sterbenden Platzhierarchie in Kinosälen, den ehemals vollbesetzten ersten Reihen, hinter denen die Leere gähnt, er zeigt die immer ihre Hand aufhaltende Platzanweiserin, die zugleich Karten- und Eisverkäuferin ist, den Filmvorführer, der, um Zeit zu sparen, eine Filmrolle überspringt; er spricht von Bubenstreichen während der Vorführung, weswegen die Polizei eingreifen muß - er fährt all die Situationen ab, an denen die Geschichte nun spielen müßte, er zeigt das Handlungsgerüst eines Films, der noch zu drehen bleibt.

M.O.

Ab heute bis zum 20. Juni im SputnikII, Südstern, 20 Uhr.

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