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Ein tumber Tor, wer den Fuß aus der Tür nimmt

■ Die Energiepolitik darf nicht dem Rest der Welt überlassen werden / Eine Zwischenbilanz von Berliner UmweltforscherInnen

Gibt es in West-Berlin eine Energiepolitik, die eine Fortsetzung der Koalition lohnt, weil sie sich hinreichend vom Vorgänger-Senat unterscheidet?

Energiepolitik ist bekanntlich ein dickes Brett, und erfolgreich sein heißt, lange und hartnäckig bohren. Einen Triumph gibt es selten, der Fortschritt besteht aus vielen mühsamen Teilschritten, die oft erst nach vier bis fünf Jahren erhebliche Wirkungen haben.

Die erste große Aufgabe - Verhinderung der Stromtrasse bzw. Durchsetzung der sogenannten „kleinen Variante“ - konnte aufgrund der Widerstände in der SPD nicht gelöst werden. Dieses Trauma belastet die Koalition bis heute - was im Prinzip nicht schaden kann - aber es verstellt auch ein wenig den Blick auf das, was sonst noch passierte und passiert.

In der energiepolitischen Arena, die vorher schon ein „closed shop“ war, sind die „neuen“ Energieinteressen endlich vertreten. Es gibt inzwischen die Energieleitstelle bei der Umweltverwaltung, die politische Vorgaben für eine ökologisch verantwortbare Energieversorgung in Berlin, das Energiekonzept und ein Landesenergieprogramm entwickelt. An dieser Arbeit beteiligt ist der Energiebeirat, der den energiepolitischen Dialog in die Öffentlichkeit vermitteln und den Senat bei Grundsatzentscheidungen beraten soll. Mit der Bewag wird derzeit ein neuer Konzessionsvertrag verhandelt, wobei die Monopolstellung, das Verbot der Eigenstromerzeugung der Stadt und andere änderungsbedürftige Punkte revidiert werden.

Außerdem wird ein Energieeinsparungsgesetz ins Abgeordnetenhaus eingebracht, das neben der Festschreibung einiger für eine ökologische Energiepolitik wichtiger Rahmenbedingungen ein umfangreiches Instrumentarium zur Förderung regenerativer und dezentraler Energiesysteme schafft. Vorbereitet wird gegenwärtig die Gründung einer Betreibergesellschaft für Blockheizkraftwerke, die dem kräftezehrenden Hickhack zwischen Einzelbetreibern und der Bewag um Einspeise- und Reservestrombedingungen ein Ende bereiten soll. Auch dieses Konzept wäre ohne Rot-Grün nicht möglich, und es stellt eine wesentliche Voraussetzung für eine dezentralisierte Energieversorgung dar.

Ähnlich problematisch sähe es nach einem Regierungswechsel für die Gründung einer Energieagentur aus, die mit finanzieller Starthilfe aus dem Landeshaushalt Energiesparinvestitionen im gewerblichen Sektor vorfinanzieren soll, um sich aus dem Kapitalrückfluß nach einiger Zeit selbst zu tragen.

Neben einer ganzen Palette von Einzelmaßnahmen, die eingeleitet wurden, stehen die oben genannten Initiativen für die Umstrukturierung des Energiebereichs - von der verbrauchernahen Einsparung bis zur Restenergiebedarfsdeckung. Nur eine solche Umstrukturierung ermöglicht eine langfristige ökologische Energieversorgung. Einsichtig sollte sein, daß Ergebnisse nicht von heute auf morgen erwartet werden können. Überdies: wichtige Rahmenkompetenzen liegen beim Bund.

Wie die erwähnten Initiativen unter Rot-Grün umgesetzt werden können, bleibt natürlich abzuwarten. Was aus ihnen nach einem Koalitionswechsel würde, ist demgegenüber ziemlich klar. Energiepolitik sollte man/frau nicht ohne schlechtes Gewissen dem Rest der Welt überlassen. Im übrigen: Wer in der derzeitigen gesamtdeutschen Situation nicht den Fuß in der Tür behält, ist politisch ein tumber Tor - selbst wenn die SPD-Politik in vielerlei Hinsicht eine Zumutung ist und die Chance einer energiepolitischen Profilierung verpaßt.

Martin Jänicke, Lutz Mez,

Jürgen Pöschk und Susanne Schön. Die Autoren arbeiten an der Forschungsstelle für Umweltpolitik der FU Berlin

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