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Neuer Chef soll Philips‘ „Wasserkopf“ gesundschrumpfen

Die erdrutschartigen Verluste des niederländischen Elektromultis im ersten Quartal dieses Jahres sind nach Meinung des designierten neuen Chefs die Folge verfehlten Marketings, der zu behäbigen Umsetzung von Forschung in Produkt und einer in provinziellen Traditionen verhafteten Unternehmenskultur begründet  ■  Von Henk Raijer

Philips, Hollands traditionsreicher Elektrokonzern, ist krank. Altersschwäche diagnostizieren die einen, Muskelschwund meinen die anderen. Wieder andere sagen, ein Tumor habe sich jahrelang ungehindert im schwächer werdenden Gewebe breitmachen können. Nur ein rigoroser Eingriff könne ein Abrutschen eines der weltweit führenden Hersteller von Fernsehgeräten, Unterhaltungselektronik und Beleuchtungsartikel aus Eindhoven in die Zweitklassigkeit verhindern.

Noch auf der Hauptversammlung im April hatte Philips-Chef Cor van der Klugt deutliche Ertragssteigerungen für das Geschäftsjahr 1990 vorausgesagt. Aber nur wenige Wochen später stellte sich heraus, daß der Reingewinn nach Abschluß des ersten Quartals dieses Jahres im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres von 200 auf ganze 5 Millionen Gulden abgerutscht war. Hatte der latent optimistische van der Klugt bewußt gelogen? Oder lag es tatsächlich an den unerwarteten Wechselkursschwankungen, die die Finanzabteilung des Unternehmens als Argument ins Feld führte? Auf jeden Fall ein Erdrutsch, der die Börsenkurse purzeln ließ (20 Prozent), den Holländern von Seiten US -amerikanischer Aktionäre Anklagen wegen „bewußt falscher Angaben über den Geschäftsverlauf“ einbrachte und das vorzeitige Ende der Karriere des 65jährigen van der Klugt einläutete, der im nächsten Jahr zur Hundertjahrfeier ohnehin in Pension gehen sollte.

Philips‘ Rentabilität ist, so räumen interne Gutachten ein, in einigen wesentlichen Bereichen schon seit zehn Jahren zu niedrig, um seine Marktanteile zu konsolidieren. Auf dem Chips-Sektor wurde 1989 im Vergleich zum Vorjahresergebnis ein Umsatzrückgang von 478 Millionen Gulden verbucht - am Ende mußte der Konzern einen Verlust von 125 Millionen einstecken; bei den Computersystemen sind die Ergebnisse etwa gleich schlecht. Von den vier Unternehmensbereichen des Elektromultis befinden sich ausgerechnet die beiden zukunftsträchtigsten in einer tiefen Krise. Nur die Sparten Unterhaltungselektronik und Licht werfen nach wie vor überzeugende Rendite ab.

Für den designierten Nachfolger des freundlich-moderaten van der Klugt, den vom Eindhovener Betriebsrat gefürchteten und vom niederländischen Gewerkschaftsdachverband FNV meistgehaßten Philips-Sanierer, Jan Timmer (51), ist eins sonnenklar: Philips tanzt auf zu vielen Hochzeiten gleichzeitig, beschäftigt einen aufgeblähten, zentralistischen Verwaltungsapparat und verpulvert zuviel Geld und Zeit für Grundlagenforschung.

Qualität in Zukunft

zweitrangig

Zwar schraubt der Konzern heute in 60 Ländern der Welt mit 340.000 Arbeitnehmern qualitativ hochwertige Produkte zusammen, wobei die Palette von der Glühbirne über Küchenmixer, Plattenspieler, Fernsehgeräte zum Computer und dem digitalen Telefonnetz reicht - buchstäblich alles, was in eine Steckdose paßt. Zwar bescherte die Entwicklungsabteilung des Elektronikmultis der Welt nicht nur den ersten elektrischen Rasierer, die Audiokassette, den Videorekorder und den Compact Disc, sondern auch das hochauflösende TV (das Fernsehbilder in Kinoqualität ermöglicht) und den Megabyte-Chip, der seine Informationen auch gespeichert hält, wenn der Strom mal ausfällt. „Aber all die Arbeit unserer genialen Entwicklungsingenieure ist doch für die Katz‘, wenn sich diese Forschung nicht auf dem Markt realisiert“, sagt Timmer. Bisher galt in der „Firma“ immer die Maxime: Wenn das Produkt gut genug ist, kommt der Erfolg von ganz allein. Das Markenzeichen „Philips“ jedoch, so scheint es, spricht nicht mehr für sich. „Was sich in unseren Chefetagen jetzt durchsetzen muß“, so Timmer, „ist die Erkenntnis, daß ein Produkt nicht unbedingt das beste auf dem Markt sein muß - Hauptsache, es verkauft sich gut.“

Früher, vor dem Siegeszug der japanischen Industrie, sorgte jedes Produkt, das die Holländer auf den (Welt-)Markt brachten, für riesige Umsätze. Es hat lange gedauert, bis die Philips-Strategen realisierten, daß die Märkte für Unterhaltungselektronik heute mehr von der Mode und vom Produktdesign als vom thenologischen Standard bestimmt sind, und daß Produkte, die Philips in aufwendiger Forschungstätigkeit hergestellt hat, auf leichte Art und Weise von anderen kopiert werden können. Jan D. Timmer, schon als Chef der Sektion Unterhaltungselektronik und der Plattenfirma Polygramm als Chirurg überaus erfolgreich, scheint fest entschlossen, seine „Philipstroika“ durchzupeitschen. Rationalisieren und nochmals rationalisieren, heißt seine Devise. Bereiche, die Verluste einfahren, müssen abgestoßen oder in Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen kuriert werden. Seit Monaten schon will das Gerücht, daß Philips beim Computerhersteller Olivetti (Minicomputer) einsteigt, mit Siemens und Matsushita (Chips) eine engere Kooperation anstrebt, nicht verstummen. Denn es sind die Sektionen Informations- und Telekommunikationstechnik, die dem Konzern Sorgen bereiten. Vor allem in der Chips-Herstellung ist der niederländische Multi seinen Konkurrenten in Fernost unterlegen. Da aber Philips auf eigene Entwicklung nicht verzichten mochte, wird Timmer, der am 1.Juli seinen neuen Job antritt, nicht nur was die Breite der Produktpalette, sondern auch was die Produktionstiefe - jedes einzelne Teil in eigener Regie zu fertigen - anbelangt, noch so manche Widerstände in der Einhovener Zentrale zu überwinden haben.

Philips ist kein „normaler“ Betrieb, Philips ist in Eindhoven eine Welt für sich, eine Institution. Und wenn Philips darniederliegt, keine Luft mehr bekommt, dann hüstelt und röchelt ganz Eindhoven. Denn Eindhoven ist Philips: Jeder fünfte Einwohner des verschlafenen Städtchens in der südniederländischen Provinz Noord-Brabant arbeitet bei der „Firma“: 31.000 - zehn Prozent der Belegschaft weltweit.

Vor knapp einem Jahrhundert, 1891, gründete der ehemalige AEG-Ingenieur Gerard Philips zusammen mit seinem Bruder Frits in Eindhoven die „Philips Gloeilampenfabriek“. In einer alten Scheune produzierten die beiden Brüder zunächst mit zehn Mitarbeitern - Glühbirnen. Da es in Eindhoven keinerlei Industrie gab, gründete Philips seine eigenen Zulieferungsbetriebe gleich mit, besorgte auch die infrastrukturelle Entwicklung der Stadt und organisierte, nicht zuletzt aus einer Art patriarchalischen Verantwortungsgefühls, ein vorbildliches Sozialversicherungssystem zugunsten seiner Mitarbeiter.

Dezentralisierung

Haupthindernis auf dem Weg zu einer moderneren, dynamischeren Unternehmensführung ist, so die Hypothese der neuen Hardliner um Timmer, diese „Philips-Kultur“. Denn was nützt es, so die Philosophie dieser aufstrebenden Elite, eine Unternehmensstruktur zu reorganisieren, wenn nicht auch die darin arbeitenden Menschen ihre Mentalität verändern. In der Firma bedürfe es dazu einer grundlegenden Veränderung von Einstellungen und Überzeugungen, die im Laufe eines Jahrhunderts gleichsam zur zweiten Natur geworden seien.

Es hat bei Philips immer einen oder mehrere Bereiche gegeben, die nach Abschluß eines Geschäftsjahres mit Verlusten dastanden. In den achtziger Jahren waren jeweils die Unterhaltungselektronik, die Schallplattenfirma Polygramm, Bildröhren und Chips in den miesen. Da aber Philips seit jeher die Erträge gut und schlecht laufender Unternehmensbereiche in einer Abschlußbilanz zu präsentieren pflegt, werden „Sorgenkinder“ auch betriebsintern nicht so schnell augenfällig. Größere Ertragseinbußen werden erst transparent, wenn sie die Gesamtbilanz zu beeinflussen beginnen. Philips-Manager, so Timmer, hätten sich im Lauf der Zeit mit Strukturen umgeben, die es ihnen erlaubten, nurmehr Lob und Ehre einzuheimsen.

„Ein Wasserkopf“, wie Jan Timmer meint. Diese einzigartige Infrastruktur, die interne Kultur des Konzerns, sei der wahre Grund für die Krise. Und sie wird es unter seiner Regie nicht mehr geben. „Wir wollen wissen, wer für was genau verantwortlich ist. Nur so können wir rechtzeitig Maßnahmen ergreifen - nicht erst, wenn es für die Konkurrenzfähigkeit unseres Unternehmens fast schon zu spät ist.“

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