: Um „Volkseigentum“ wird gestritten
■ Privatisierungsgesetz von der Volkskammer vertagt Wirtschaftsminister drohten mit Betriebsschließungen
Berlin (taz) - Die Regierungsparteien sind gestern bei der zweiten Lesung des „Treuhandgesetzes“ über ihre bisherige Gleichgültigkeit in Verfassungsfragen gestolpert. Das Gesetz, dessen Ziel es ist, das „Volksvermögen zu privatisieren“, verstößt offen gegen Artikel 10 der noch geltenden DDR-Verfassung. Eine entsprechende Verfassungsänderung war aber nicht vorbereitet worden.
Insbesondere die Abgeordneten von Bündnis 90 wiesen mit großem Nachdruck auf dieses Problem hin. Von allen Parteien war nur die DSU bereit war, sich darüber einfach hinwegzusetzen. Beschlossen wurde, am Sonntag, den 17. Juni, eine Sondersitzung der Volkskammer einzuberufen, um „Verfassungsgrundsätze“ zu verabschieden, um dieses Problem auszuräumen. Anschließend soll das „Treuhandgesetz“ verabschiedet werden.
Der inhaltliche Streitpunkt ist nicht, ob die Unternehmen in Kapitalgesellschaften umgewandelt und das Volkseigentum „privatisiert“ werden sollen. Darüber sind sich alle Fraktionen einig. Es geht darum, welche „Privaten“ anschließend die Eigentümer sind. Werner Schulz forderte für Bündnis '90, daß alle Bürger einen Anteil bekommen sollten und nannte das geplante Gesetz eine „Enteignung der Bürger in einem ungeheuerlichen Ausmaß“. Zuvor hatte Wirtschaftsminister Pohl die Notwendigkeit des Gesetzes damit begründet, daß nach dem 2. Juli 50 % aller bisher „zentralgeleiteten Betriebe mit Verlust arbeiten würden. Ihre Liquidität müßte mit Krediten der „Treuhand gesichert werden, dafür seien allein im Juli 3 Milliarden DM notwendig. Diese Kredite seien aber nur dann zu erhalten, wenn vorher das entsprechende Gesetz verabschiedet worden wäre, sonst würden Betriebsschließungen drohen. Die „Treuhand soll freilich nicht nur notleidenden Unternehmen Liquiditätskredite gewähren, sondern eben auch diese Unternehmen auf dem Kapitalmarkt veräußern“. Zur Treuhand siehe S. 4
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