Prima leben und rasen

■ Alles, was Spaß macht, ist entweder tabuisiert, gesundheits- oder umweltschädlich. Zu diesen stigmatisierten Aktivitäten gehört auch Autofahren. Aber es gibt auch noch Zeitgenossen, die zu ihren Lastern stehen - Baum hin oder Baum ab.

Von

RÜDIGER KIND

enn ich mit meinem getunten, tiefergelegten, gespoilerten, goldbronzenen Mazda 929 mit handgestoppten 224,8 km/h die lächerlichen GTIs am Irschenberg schlichtweg stehen lasse, dann bin ich stolz, Deutscher zu sein. Dann zahlt es sich aus, freier Bürger von Vollgas-Country zu sein, denn, seien wir mal ehrlich, mit Vollgas macht das Leben doppelt Spaß. Wenn sich unsere Nachbarn mit Tempo 100 über ihre Autobahnen quälen, ist das ihr Problem. Wir Deutschen sind offensichtlich die einzigen, die das Auto, dieses Wunderwerk menschlichen Erfindergeistes, wesensgemäß zu nutzen wissen. Wir haben es ja schließlich auch erfunden. Und die dazu nötigen Autobahnen auch.

Damit wäre ich auch schon beim auto-biographischen Hintergrund meiner Leidenschaft fürs Autofahren: Meine Wiege stand unmittelbar neben der Wiege des Autos, gerade 500 Meter von der legendären Werkstatt entfernt, in der Gottfried Daimler seinen ersten Kraftwagen zusammenzimmerte. Die ersten Probefahrten müssen seinerzeit einen derart nachhaltigen Eindruck auf meine Großmutter gemacht haben, daß sie die Tage meiner Jugend mit Anekdoten und Schnurren über das sagenhafte Automobil versüßte. Bekannte Märchen wie „Radkäppchen und der Volvo“ oder „Das tapfere Verteilerlein“ verkürzten den langen Winterschlaf meiner Jugend und bereiteten mich innerlich auf die ersten Prüfungen des heranreifenden Mannes vor - die theoretische und die praktische. Das einzige, worüber ich mich heute wundere, ist, daß meine Taufe mit Wasser und nicht mit Benzin vollzogen wurde. Und das, wo doch das Auto eine wesentlich größere Rolle im Leben und in den Gesprächen meiner Familie einnahm als der liebe Gott.

Ich zog daraus meine Konsequenzen. Mit 18 trat ich aus der Kirche aus und in den ADAC ein. Ich verließ mein Elternhaus und nahm am Steuer eines 300 Mark teuren 180er Diesel mit sechs Monaten Rest-TÜV Kurs auf eine aussichtsreichere Zukunft mit glänzenden automobilen Aufstiegschancen. In der unübersichtlichen Kurve einer nur vermeintlichen Einbahnstraße, die ich so angeschnitten hatte, wie ich es von den Formel 1-Piloten her kannte, fanden meine kühnen Träume ein jähes Ende. Bilanz des Frontalzusammenstoßes: Zwei Totalschäden, keine Toten, ein Verletzter, drei Monate Führerscheinentzug und zehn Wochenenden Geschirrspülen im Altersheim. Ich kam mir vor wie das fünfte Rad am Wagen der Gesellschaft, wie Sand im Getriebe der Welt, wie Zucker im Tank unserer Zeit...

ch gelobte Besserung. Nie mehr wollte ich geisterfahren. Defensiv ist progressiv, sagte ich mir, dein Führerschein ist kein Jagdschein, rechts ist richtig, hallo Partner, brems‘ doch mal... Kurz und gut, nach Ablauf der dreimonatigen Schonzeit wandelte ich mich zu einem vorbildlich defensiven Fahrer, dessen partnerschaftlicher Fahrstil zu Recht bei Jung und Alt über die Grenzen meines Wohnviertels hinaus Beachtung fand. Und wenn ich dann doch mal, was selten genug vorkam, einen von diesen Rad- oder Motorradfahrern von seinem Gestänge stieß, half ich ihm postwendend wieder auf die Beine - wenn nicht die Notärzte mir diese Tätigkeit sowieso abnahmen. Überhaupt, früher bin ich ja auch mal Rad gefahren. Als es noch Räder mit Dreigangschaltung gab. Bei diesen Rädern heute, 18 Gänge sind da ja das Mindeste, blickt ja kein Mensch mehr durch, da fahre ich doch lieber Auto. Vier Gänge, das ist ein menschliches Maß, mehr brauch‘ ich wirklich nicht...

„Wenn ich fahre, kommt mir das Leben wie im Kino vor. Alles ist da, zum greifen nahe, aber es fliegt vorbei, bevor ich zugreifen kann, bleibt unerreichbar.“ So bringt der amerikanische Schriftsteller Stephen Gears das Lebensgefühl der Kinder von Ford und General Motors auf den Punkt. Die melancholische Tristesse der endlosen, musikunterlegten Autofahrten, die uns in zig Road Movies von sogenannten Kultfilmregisseuren geboten wurden, Filmen, in denen das Auto zur Metapher der Beziehungslosigkeit eines modernen Menschen gerinnt, der sich mit seinem Gefährt auf die weltverlorene Suche nach der Blauen Blume einer motorisierten Romantik macht.

Diese Kommunikationsunfähigkeit, die uns Heutigen eigen sein soll, dachte ich mir, muß doch nicht unbedingt sein! Das Auto kann doch umgekehrt nicht nur als Mittel der Bewegung, sondern auch als Ort der menschlichen Begegnung, des Aufeinanderzugehens dienen. Wer ist nicht schon mal an der Ampel gestanden, und im Nebenwagen saß die Frau/der Mann Deiner Träume? Beim ersten Blickkontakt schaltet die Ampel allerdings immer auf Grün, und dann zahlt es sich aus, wenn ein paar PS mehr unter der Haube schlummern, die die anschließende Verfolgungsjagd nicht schon an der materiellen Grundlage scheitern lassen. Spätestens bei der Parkplatzsuche im Zielgebiet der oder des Angebetenen aber wird klar, was auch der „Rosenkrieg“ eindrucksvoll zeigt: Zwischen zwei AutofahrerInnen kann es nur Gegnerschaft geben.

esentlich aussichtsreicher ist das Anknüpfen zwischenmenschlicher Bande im Stau. Im bunten Völkergemisch der sommerlichen Stauzonen ist schon manche Ehe gestiftet und in der benachbarten Autobahnkapelle von priesterlicher Hand besiegelt worden. Ich persönlich lernte meine Frau auf dem Pannenstreifen kennen. Das hätte mich mißtrauisch machen sollen. Ich aber war so liebenswürdig und schleppte ihren streikenden Wagen zur nächsten Werkstatt. Ein herrlicher Wagen - ein weinroter Jaguar Baujahr 67 - doch leider genauso pannenanfällig wie unsere ganze Beziehungs-Kiste.

Was mich am meisten nervt, sind diese saturierten Kritiker der Autogesellschaft, die alle ihren dicken Karren in der Garage stehen haben und unsere Autobahnen mit ihren Weltverbesserungssprüchen wie „Nur Hohlköpfe haben Bleifüße“ oder „Denken statt düsen“ verunstalten. Diese Indoktrinationsversuche bewirken doch im harmlosesten Fall nur eine Trotzreaktion des mündigen Bürgers: Bleifuß runter

-gib Gas, ich will Spaß. In schwereren Fällen sind sie sogar in der Lage, selbst den gewieften Könner vom Verkehrsgeschehen abzulenken. Neueste Untersuchungen haben ergeben, daß 68 Prozent aller schweren Unfälle auf Autobahnen auf Irritationen des Fahrers infolge erzieherischer Sinnsprüche zurückzuführen sind.

Doch genug dieses unerfreulichen Aspekts des Autofahrens. Um wieviel weltoffener und urbaner gestimmt waren da doch die Futuristen und sozialistischen Dichterfürsten in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts. Sie trug es beim Stichwort „Auto“ noch nicht aus der Kurve, nein, sie begrüßten und feierten es mit überschwenglichen Versen. Der Rausch der Geschwindigkeit, der rasende Rhythmus des Maschinenzeitalters hatte für sie, die nur in den seltensten Fällen ein eigenes Auto besaßen, etwas Faszinierendes. Ein uralter Menschheitstraum war in Erfüllung gegangen: Endlich sich nicht mehr mit dem Fahrrad vorwärtsquälen müssen!

eute, da es Mode ist, über den Verlust der Unmittelbar-, Langsam- und Umweltverträglichkeit zu lamentieren, sollte sich jeder vorschnelle Kritiker des Automobils die Frage stellen, ob er mit seiner wohlfeilen Kritik nicht bloß Trittbrettfahrer auf dem Zug der Zeit ist. Der Autofahrer hingegen erweist sich in seiner Verweigerungshaltung gegenüber der überzogenen Umwelthysterie der massenmedialen Meinungsmonopole als unbequemer Zeitgenosse, dessen Zivilcourage, aller rot-grünen Verteufelungsstrategie zum Trotz, vielleicht in naher Zukunft zum Katalysator eines in einer pluralistischen Gesellschaft so dringend nötigen kritischen Potentials werden könnte. Wenn uns dennoch ein, von welchen weltfernen politischen Phantasten auch immer initiiertes, aller automobilen Vernunft hohnsprechendes Tempolimit aufgezwungen werden sollte, wird das Leben und Fahren in Deutschland, für Deutschland nicht mehr lebenswert sein. Dann bleibt nur noch Nevada... Aber bis dahin heißt meine Devise: „Platz da - jetzt kommt Mazda!“