: Treuhandanstalt für den Jahrhundertdeal
In der DDR wird das Volkseigentum aufgelöst / Ein Riesenvermögen steht zur Disposition / Ursprünglich sollte die „Treuhand“ das Volksvermögen schützen ■ Von Hannes Bahrmann
Kein Thema entzweit gegenwärtig die DDR-Politik mehr als das Volkseigentum. Doch was im Parlament zwischen den Fraktionen erbittert debattiert wird und in der SPD-Fraktion bisweilen gar die Lust an der Koalititonsfrage weckt, erregt bei den BürgerInnen auf der Straße nur mäßiges Interesse. Ihre Aufmerksamkeit ist derzeit eher der Umstellung der Sparkonten gewidmet.
Dabei geht es in puncto Volkeigentum um schwindelerregende Höhen. „Das ist das größte Vermögen, das jemals aufgelöst wurde“, staunte DDR-Minister Klaus Reichenbach. Mit starken Worten ist die Opposition bei der Hand. Für sie stellt die Verwandlung des Volkseigentums in Kapitalgesellschaften „eine Volksenteignung in noch nie dagewesenem Ausmaß dar“, so der Abgeordnete Nooke von der Fraktion Bündnis90/Grüne in der Debatte über das Treuhandgesetz in der Volkskammer vor einer Woche.
Es geht um die Privatisierung der DDR-Wirtschaft. Erfahrungen mit einer so schnellen, radikalen und umfassenden Veränderung der Eigentumsrechte sind weltweit noch nicht gemacht worden. Dreh- und Angelpunkt der Privatisierung ist die Treuhandanstalt; hier sollen in den kommenden Monaten und Jahren alle Fäden zusammenlaufen.
Fremdes Vermögen?
Schon im Mittelalter waren die triuwehender bekannt die Verwalter fremden Eigentums. Auch nach heutiger Auffassung ist es ein Rechtsverhältnis, bei dem ein Treuhänder zwar in seinem eigenen Namen, aber in fremdem Interesse und zu fremdem Nutzen aufgrund des ihm geschenkten Vertrauens zu handeln hat. Es blieb dem DSU-Abgeordneten Walter vorbehalten herauszufinden, daß die Begriffsbildung grundfalsch sei. „Was heißt denn hier Verwalter fremden Eigentums?“
Der volkseigene Betrieb war laut Definition „staatlich -sozialistisch“ und sein Wirken „auf die Hebung des Wohlstands der Werktätigen gerichtet“. Die Werktätigen waren Produzenten und zugleich „kollektive Eigentümer und Träger des sozialistischen Staates, der das Volkseigentum repräsentiert“, definierte Meyers 'Neues Lexikon‘ von 1975. Gemerkt haben die Eigentümer die ganzen 40 Jahre wenig von ihren Besitztümern, was aber nicht heißt, daß daraus abzuleiten wäre, sie hätten auch keinen Anspruch darauf.
Wie kam das Volkseigentum zustande? Der Befehl Nr.124 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) enteignete im Oktober 1945 die ersten Betriebe in der späteren DDR auf Grundlage der Potsdamer Protokolle und des Alliierten Kontrollratsgesetzes. Dabei handelte es sich um das Vermögen von Nazis und ihrer Helfershelfer - von Sparguthaben und Mobiliar bis zu Häusern und Grundstücken. Die konfiszierten Industriebetriebe gelangten zunächst welch‘ schöne Parallele - unter die Kontrolle einer Treuhandverwaltung.
Am 30.Juli 1946 entschieden die Sachsen und Sächsinnen per Volksentscheid zugunsten der Enteignung der zwangsverwalteten Betriebe und deren Vermögen. Gemäß den Verfassungen der damaligen Länder verwandelten sich diese Betriebe in Volkseigentum. Insgesamt wurden 3.343 Unternehmen enteignet, 676 wurden als Reparationsleistung demontiert. War die Wirtschaft 1947 zu 56,3 Prozent in Volkseigentum, so erhöhte sich dieser Anteil im ersten Fünfjahresplan auf 76 Prozent; nach der offiziell dekretierten „Überführung noch bestehenden kapitalistischen Eigentums und des Eigentums industriell produzierender Genossenschaften“ von 1972 stieg der „volkseigene“ Anteil an der Industrieproduktion auf 99 Prozent.
Wenn nun, wie jetzt, der sozialistische Staat aufgelöst wird, wer hat da Anspruch auf seine Hinterlassenschaft? Die Treuhandanstalt geht auf einen Antrag der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ vom 26.Februar an den Runden Tisch zurück. Eine Holding sollte gebildet werden, um die Anteilsrechte der DDR-Bürger zu wahren. Das in Volksbesitz befindliche Eigentum wie Betriebe und Immobilien sollte nicht herrenlos werden und einfach verlorengehen.
Anfang März erließ die Regierung Modrow das Gesetz zur Gründung der Treuhandanstalt und stellte Vizepremier Peter Moreth von der alten Blockpartei LDPD an die Spitze. Seine Aufgabe sollte es sein, insgesamt fast 8.000 Betriebe zügig in Kapitalgesellschaften zu verwandeln, damit sie unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten können. Doch dazu kam es nicht.
Die wenigen Betriebe, die in der Anfangsphase durch die Treuhand in GmbH oder AGs verwandelt wurden, rufen heute schon die Revision auf den Plan. Ohne weitere Überlegungen wurden besonders wertvolle Teile aus den alten Strukturen herausgelöst; auch die Auflösung der bisher bezirksgeleiteten Kombinate begann ohne rechten Plan. Vor allem aber mißtraut die Regierung de Maiziere den alten realsozialistischen Top-Managern, die Treuhand-Chef Moreth um sich scharte. Hier sitzt einstweilen noch Wolfram Krause, früher stellvertretender Chef der Staatlichen Plankommission und nun zuständig für „territoriale Aufgaben“.
Direktoriumsmitglied Siegfried Zeissig war Vizeminister für Finanzen, Abteilungsleiter Klaus-Günter Sorg war Zeissigs Amtskollege im Bergbau-Ressort, und Paul Liehmann, einst Vize-Minister für Leichtindustrie, wurde von Moreth zum Treuhanddirektor für den Schlüsselbereich Wirtschaft. Deren alte Freunde wiederum, entlassene Kombinatsdirektoren, Ex -Ministeriale oder frühere Parteisekretäre, fanden sich in den Aufsichtsräten und Geschäftsführungen der wenigen neugebildeten Kapitalgesellschaften wieder.
Mit dem Fortgang der Verhandlungen um den deutsch-deutschen Staatsvertrag wandelte sich auch die Aufgabenstellung der Treuhand. Anstelle der Verwaltung des Volkseigentums in Form von marktwirtschaftlich organisierten Kapitalgesellschaften im Interesse der Allgemeinheit ging es bald nur noch um die Privatisierung dieses Eigentums.
Doch hier ergibt sich eine Schwierigkeit: Viele Betriebe sind ohne Hilfe auf die Verhältnisse der Marktwirtschaft nicht umzustellen. Zu groß sind zudem die Unterschiede: Ein Angestellter oder Arbeiter im Kombinat schafft im Durchschnitt nur 58 Prozent dessen, was sein bundesdeutscher Kollege erwirtschaftet. Auch der LPG-Bauer ernährt im Schnitt nur halb so viele Menschen wie der westdeutsche Landsmann. Der durchschnittliche Sanierungsbedarf pro Arbeitsplatz quer durch alle Branchen der DDR-Wirtschaft kostet 85.000 Mark.
Das Bundeswirtschaftsministerium lehnte Zuschüsse für Strukturmaßnahmen ab, und das Bundesfinanzministerium befand nach einer Überschlagsrechnung der Kosten der deutschen Einheit: Für die notwendigen Maßnahmen zur Sanierung und Strukturanpassung der Wirtschaft und in bestimmtem Umfang auch zur Sanierung des Staatshaushalts sind Mittel erforderlich, die nur durch den Verkauf von Teilen der DDR -Wirtschaft aufgebracht werden können.
Privatisieren!
In diesem Verhandlungsstadium gab Vize-Treuhänder Krause ein Zeitungsinterview, in dem er ankündigte, die Treuhandstelle wolle Kredite über 50 Milliarden DM aufnehmen, um das Überleben der DDR-Industrie und deren Modernisierung zu finanzieren. Die Gelder sollten aus dem Fonds „Deutsche Einheit“ kommen. Prompt kam die Kritik: Die da in Ost-Berlin sollten nicht kostspielig kreditieren, sondern privatisieren, hieß es im Bonner Finanzministerium, wo seither das Treiben der Treuhänder besonders kritisch betrachtet wird. Durch die Bundesregierung verbürgt sind nun Kredite über insgesamt 17 Milliarden DM, die die Anstalt bis Ende 1991 bei den Banken aufnehmen darf.
Aber auch in Ost-Berlin spitzten sich die Auseinandersetzungen hinter den Kulissen zu: Um die Kontrolle dieser Treuhandstelle rangelten gleich mehrere Ministerien. Der Plan von Wirtschaftsminister Pohl (CDU), sich die Treuhandstelle zu unterstellen, scheiterte zunächst am Widerstand von Finanzminister Romberg (SPD), ehe sie direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt wurde. Der merkwürdige Start der Treuhänder rief zugleich die Volkskammerfraktionen auf den Plan. Der erste Entwurf eines neuen Treuhandgesetzes aus dem Wirtschaftsministerium kam jedoch nicht über die erste Hürde. Ziel verfehlt, befanden die Sprecher aller Fraktionen Anfang Juni. Der Wirtschaftsausschuß des Parlaments mußte nun unter Zeitdruck nachbessern. Die SPD legt sich vor allem in der Frage der Zuständigkeit quer. Denn: Wenn wie bislang die Treuhand dem Noch-Premier der DDR unterstellt bleibt, was geschieht dann nach dem Anschluß nach Artikel 23? Die Rechtsnachfolge träte ein CDU-Kanzler an - für den wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion Frank Bogisch „eine Horrorvorstellung“. Die Alternative ist allerdings nur der Bundesfinanzminister wenn der ab Dezember von der SPD gestellt werden sollte, dürfte Bogisch es zufrieden sein. Dabei sind die SozialdemokratInnen von ihren früheren Vorstellungen weit abgekomen: Geblieben ist nur die Forderung, den DDR -BürgerInnen ihre Wohnungen zum Kauf anzubieten, aber in DM und zu Marktpreisen.
Um welche Werte es ansonsten in realen Zahlen geht, vermag kaum jemand genau zu sagen. Lege man westliche Berechnungsmethoden zugrunde, seien die rund 7.500 Betriebe, für die die Treuhand zuständig wird, etwa 300 Milliarden DM wert; wenn man den Grund und Boden einschließe, erhöhe sich dieser Betrag um das Doppelte, hieß es aus Kreisen der Treuhand.
Zunächst aber müssen die Hauptbuchhalter eine Schlußbilanz per 31.Juni 1990 nach althergebrachten Vorgaben in DDR-Mark ziehen. Dann wird sich erweisen, daß viele Kombinate durchaus vermögend sind - jedenfalls nach ihrer Papierform. Sie gebieten auf dem Papier über gewaltiges Anlagevermögen: Wurde im Westen eine Maschine für zwei Millionen DM eingekauft, veranschlagten die BuchhalterInnen den „Mittag -Koeffizienten“ 4,4 und bilanzierten also 8,8 Millionen DDR -Mark. Ähnliches gilt für Vorräte an West-Ware, aber auch den eigenen, schwer verkäuflichen Lagerbeständen, vordem eine Überlebensgarantie. Kulturhäuser, Theaterspielstätten, Klubs und Kindergärten werden ebenfalls noch in den Abschlußbilanzen erscheinen, auch wenn die Einrichtungen schon abgetreten sind.
Doch schon bei der DM-Eröffnungsbilanz stellt sich heraus, daß das einzig Handfeste darin die realen Schulden sind. Edgar Most, Chef der DDR-Kreditbank, drückt es vorsichtig aus: „Zur Zeit sind wir in allen Betrieben der DDR mit hohen Krediten an der Finanzierung der Produktionsprozesse beteiligt. Jede ausländische Bank, die einen DDR-Betrieb finanzieren will, muß sich über die Konditionen im Klaren werden. Dabei wird sie darauf stoßen, daß viele Firmen hohe Verbindlichkeiten haben, und bei der Bewertung der Bonität wird sie einschätzen müssen, wie hoch ihr Risiko bei der Kreditvergabe ist.“
Mit anderen Worten: Unter den Kriterien des bundesdeutschen Aktienrechts sind eine Vielzahl von Unternehmen wegen Mangels an Eigenkapital reif für den Konkursverwalter. Woher soll aber Geld kommen? Aus dem Kreditrahmen von sieben Milliarden DM, der der Treuhand für 1990 eingeräumt wurde? Allein aus dem Bezirk Halle kommen Forderungen nach Soforthilfe über 4,2 Milliarden (DDR-)Mark.
Zunächst aber wird es bei der undurchsichtigen Lage bleiben, und es vergehen Monate, bis Licht ins bilanztechnische Dunkel gekommen ist. Vordem wird sich kein Investor rühren, danach dürfte es aber schon für etliche Betriebe zu spät sein. Keine rosigen Aussichten, die Minister Klaus Reichenbach vom Büro des Ministerpräsidenten im Stil der neuen Rotzigkeit vieler CDU-Politiker so kommentiert: „Man muß die 25 Prozent der Betriebe, die nicht überlebensfähig sind, krachen lassen.“
Für SPD-Wirtschaftssprecher Bogisch hingegen läuft die Zeit davon. Das neue Gesetz über die Treuhandanstalt müsse endlich Klarheit über die Zukunft schaffen. Dennoch schwant ihm auch, daß mit der anhaltenden Debatte um die Treuhand, die Privatisierung und auch Kungeleien um Grund und Boden „die DDR-Bürger aufs Kreuz gelegt werden“. Wenigstens eins ist jedenfalls klar: Das mit dem Anschluß nach Artikel 23 in Kraft tretende Bürgerliche Gesetzbuch der BRD sieht eins nicht vor: das Volkseigentum.
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