piwik no script img

Hungerstreik für Südafrikas schwarze Schüler

Auch 14 Jahre nach dem Schüleraufstand in Soweto hat sich an dem diskriminierenden Schulsystem nicht viel geändert / Die Regierung geizt weiter mit Schulbüchern und bei der Bezahlung der Lehrer / Eltern sind in der Johannesburger Schulbehörde in Hungerstreik getreten  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

„Die ganze Welt hat sich am 16.Juni 1976 verändert“, sagt Mpho Mashini, der an diesem Tag 15 Jahre alt war. Damals eröffnete die Polizei das Feuer auf Tausende von Schülern in Soweto, die gegen das minderwertige Schulsystem für Schwarze protestierten. Hunderte von Schülern wurden in den folgenden Wochen bei Protesten erschossen, Tausende flohen ins Ausland, um sich dem Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) und dem Panafrikanistischen Kongreß (PAC) anzuschließen. Mashini selbst, dessen Bruder ein Anführer des Aufstandes war, spricht von seiner politischen Feuertaufe: „Seit jenem Tag arbeite ich in politischen Organisationen mit.“

Die Probleme im Schulwesen jedoch bestehen für Schwarze auch heute noch, 14 Jahre nach dem Aufstand. In Sowetos 64 höheren und 354 Grundschulen wird seit Wochen nicht mehr unterrichtet. Grund ist ein akuter Mangel an Schulbüchern, die vom Staat verteilt werden sollten. Seit Anfang der Woche veranstalten acht Väter und Mütter schwarzer Schüler in den Büros der Schulbehörde in Johannesburg einen Hungerstreik. „Es ist unsere Verantwortung, Druck auf das Bildungsministerium auszuüben“, sagt David Mäpa, Sprecher der Streikenden. Etwa 300.000 SchülerInnen hätten noch keine Schulbücher erhalten. Stoffel van der Merwe, der Erziehungsminister, hat bisher mit typisch harter Gangart auf die Proteste reagiert. Gestern drohte er den Hungerstreikenden, sie von der Polizei aus dem Gebäude entfernen zu lassen.

Walter Sisulu, interner Führer des ANC, sagte den Hungerstreikenden inzwischen die Unterstützung seiner Organisation zu. „Das Problem der Erziehung ist dem ANC im Augenblick am wichtigsten“, sagte Sisulu. Auch in Schulen für Mischlinge und Inder rumort es. Diese Woche marschierten 7.000 farbige Lehrer, Schüler und Eltern durch Johannesburg, um gegen das Schulsystem zu protestieren. Lehrer forderten die regelmäßige Zahlung ihrer Gehälter, einen Mindestlohn von 1.500 Rand (etwa 930 Mark) und ein Ende der Verfolgung politisch aktiver Lehrer. Hunderte von Lehrern haben zum Teil seit sechs Monaten ihr Gehalt nicht mehr bekommen.

ANC-Führer, allen voran Nelson Mandela, haben sich in den letzten Monaten wiederholt bemüht, die seit Jahren andauernden Schulboykotte in schwarzen Schulen zu beenden. „Das minderwertige Schulsystem ist ein Resultat der Tatsache, daß unsere Leute keine Stimme haben und die Regierung deshalb nicht auf ihre Bedürfnisse eingeht“, sagte Mandela in seiner ersten Rede in Soweto nach seiner Freilassung. Dennoch forderte er die Schüler ausdrücklich zur Rückkehr in die Schulen auf. „Die Schüler sind jetzt wieder in den Schulen“, hieß es gestern in einer ANC -Erklärung. Doch die Regierung sei ihrer Verantwortung, die Bedürfnisse der Schüler zu befriedigen, nicht nachgekommen. Die Situation in den Schulen, warnte der ANC, „stellt die Entschlossenheit des Regimes in Pretoria, sich für wirkliche Veränderung einzusetzen, ernsthaft in Frage“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen