: Körperknoten im Kimono
■ Im Europapokal-Finale der Judoka warfen die Franzosen vom SC Maisons Alfort Paris die HSG Humboldt Universität Berlin mit 6:1 auf die Ostberliner Matte
Lichtenberg. „Ach, wie vieles muß man rügen, weil es sündlich und gemein, so zum Beispiel das Vergnügen, zuzusehn bei Prügelein.“
Selbiges taten dann auch 200 bis 300 Menschen und versammelten sich in der Anton-Saefkow-Halle, gelegen inmitten der Neubausiedlung Lichtenberg, um auf der grünen Matte sich zausende Männer zu bewundern und zu beklatschen. Zum Kampfe nach Art des „sanft nachgebenden Grundsatzes“, im folgenden kurz Judo genannt, trafen sich in der zweiten Runde des Europapokals der Landesmeister also die wackeren Mannen der HSG Humboldt Universität Berlin und des SC Maisons Alfort aus Paris.
Was doch zunächst als Schulhof-Rangelei schien, entpuppte sich dann dem - zugegeben - Laien immerhin ein wenig als disziplinierter Selbstverteidigungssport. Schlagen, Treten, Stoßen ist verpönt, nur durch Schubsen oder Ziehen am Kimono -Kragen in Verbindung mit Beinstellen oder Ausnutzen der Schwerkraftverhältnisse darf der Konkurrent auf die Matte geklatscht werden. Die anschließende Körperverknotung muß so fest sitzen, daß der Unterlegene eine halbe Minute nicht mehr auf die Beine kommt. Das war's dann.
So fielen die Kämpfe in den sieben Gewichtsklassen doch recht kurz aus, da sich die HSGler im Zerren und Winden ziemlich unterlegen zeigten. „Es bleibt ein Abenteuer, als BSG-Sportler in solch einem Wettbewerb anzutreten“, gab der Berliner Trainer Burkhard Luchterhand die passende Erklärung dazu. Will sagen, die übliche und betrübliche Leier der letzten Monate im DDR-Leistungssport: zu wenig Möglichkeiten für angemessenes Training und gute Vorbereitung, um gegen internationale Mannschaften bestehen zu können.
Den gravierenden Unterschied machte Luchterhand gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Guenet deutlich. Während ersterer darüber maulte, daß in der DDR in den Klubs und Betriebssportgemeinschaften seit Jahren jeder für sich herumprokeln würde, gab Guenet stolz zum besten, daß der Erfolg und die gute Verfassung seiner Mannschaft darauf zurückzuführen sei, daß in Frankreich konzentriert und zusammengefaßt in großen Leistungszentren gearbeitet werden kann.
So ist nun der Augenblick gekommen, die Spannung zu lösen. Mit 6:1 Siegen zog der französische Meister die HSGler über die Matte; den Berlinern war schon von vorneherein klar gewesen, daß sie krasse Außenseiter waren, mit zwei Siegen und einigen Remis hatten sie aber gerechnet. Daß dieses Vorhaben scheiterte, lag an einem kleinen Irrtum in der Vorbereitung. Eigentlich wollten die Berliner den SC Maisons Alfort bei dessen Erstrundenkampf in Danzig beobachten, fuhren dorthin, standen aber in einer leeren Halle, weil sie nicht wußten, daß die polnischen Judoka ihr Heimrecht an die Franzosen verkauft hatten.
Eine angenehme Überraschung gab es dennoch. Ausgerechnet das Küken und Leichtgewicht der Berliner, Rene Wolf, schickte seinen Kontrahenten Bikindou, immerhin Mitglied der Nationalmannschaft, ziemlich fix zu Boden. Alle anderen waren ohne Chance. Selbst der favorisierte ehemalige Weltcupsieger Dietmar Brandt bei den ganz Dicken mußte seinem „hohen Alter“ von 28 Jahren Tribut zollen und auf die Matte; „Autsch! - schon wieder hat er einen im Genicke, an den Beinen; hin und her und rundherum zerrt es, drückt es mit Gebrumm“, so ungefähr lief es ab gegen den noch kloßigeren Herrn Douinez. Nun denn, der guten Stimmung tat dies keinen Abbruch. Die HSGler hoffen wie viele Sportler auf bessere Möglichkeiten durch die neuen Entwicklungen im Land, die Besucher klatschten und waren zufrieden, trotz der Niederlage und des penetranten Geruchs nach Reinigungsmittel und Plastik in der Halle.
Etwas Verwirrung stiftete eine spontan ausgeführte taz -Umfrage zur philosophischen Erklärung dieses Sports und seiner Hintergründe; recht knapp und eindeutig äußerte sich gleichsam als Gottesgeschenk eine junge Dame aus Oskarchens Heimstatt: „Anstrengend!“, recht zweideutig und hintertrieben dagegen hatten es drei Knaben faustdick hinter den Ohren, als sie seltsam würdig sprachen: „Dies kundzutun, steht uns nicht an; sei standhaft, duldsam und verschwiegen! Bedenke dies: kurz, sei ein Mann! Dann, Jüngling, wirst du männlich siegen.“ Judo halt.
Kaputtnik
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