„Der Ausnahmezustand hält uns nicht auf“

■ „Frauenkomitees“ gegen die israelische Besatzung / Selbsthilfe, Kooperativen und Gefangenenbetreuung

Berlin (taz) - Muna und Manal ist die Unruhe anzumerken. Kaum hat ihre Vortragsreise durch die Bundesrepublik und West-Berlin begonnen, da melden Zeitungen und Fernsehen die schwersten Auseinandersetzungen seit Beginn der Intifada in den besetzten Gebieten, nachdem ein Israeli acht palästinensische Arbeiter ermordet hat. Manal lebt in der West-Bank, Muna in Gaza. Die beiden Frauen machen sich Sorgen um ihre Kinder, die jetzt wieder mit den anderen Jugendlichen auf der Straße sind, Graffiti an die Wände malen, auf dem Dach die palästinensische Fahne hissen, mit Steinen gegen die bewaffneten Besatzer vorgehen.

Die Intifada ist für Muna und Manal Alltag. Die beiden 40jährigen „Hausfrauen“ sind Mitglieder des „Palästinensischen Verbands der Frauenkomitees“ (...). Ihre Organisation zählt mittlerweile 10.000 Mitglieder; sie haben sich zur Aufgabe gemacht, die soziale, politische und ökonomische Situation der palästinensischen Frauen zu verbessern - soweit die israelische Besatzungsmacht das zuläßt. Konkret heißt das: Alphabetisierungsprogramme, Volksbildungskurse, Aufbau von Gesundheitsposten und Erste -Hilfe-Gruppen, Kindergärten und kleinen Produktionskooperativen.

Manal ist Vorsitzende eines Alphabetisierungskomitees. Zusammen mit anderen hat sie ein Programm erarbeitet, mit dessen Hilfe Frauen Lesen und Schreiben beigebracht werden soll. 45 Prozent der Frauen sind Analphabetinnen, erzählt Manal. Und der Bildungsnotstand wird größer, denn seit Ende 1989 sind die Schulen und Universitäten wieder geschlossen. 31 Klassen hat das Komitee bisher auf die Beine gestellt. Die selbstorganisierten Notprogramme können die Auswirkungen der israelischen „Verdummungspolitik“ aber kaum lindern.

Muna ist Leiterin eines Produktionskomitees. Ziel dieser Komitees ist es, Erwerbsquellen für Frauen zu schaffen, um so die Abhängigkeit vom israelischen Arbeitsmarkt zu lockern. Größtmögliche Selbstversorgung mit lebensnotwendigen und billigen Produkten ist Voraussetzung für einen wirkungsvollen Boykott israelischer Erzeugnisse. Lebensmittelkomitees halten die Bevölkerung dazu an, auch das kleinste Stückchen Land zu bebauen, Hühner, Kühe und Schafe zu halten, damit bei Blockaden und Ausgangssperren die Versorgung nicht zusammenbricht. Vier kleine Kooperativen im Gaza-Streifen werden von Muna betreut. Das „Biskuit-Projekt“ ist das älteste. 1985 taten sich hier acht Frauen zusammen, kauften ein paar einfache Geräte und einen Ofen und fingen mit der Herstellung von Gebäck an, das sie an Verwandte und NachbarInnen verkauften. In einem anderen Projekt wird Milch zu Käse und Joghurt verarbeitet. Außerdem gibt es eine kleine Schafzucht und eine Handweberei, die traditionelle Teppiche und Kleidung fertigt. Keines dieser Projekte wirft allerdings bisher Gewinn ab - noch nicht einmal die Kosten werden gedeckt. Noch springt für die Verluste der Projekte der Frauenverband ein - irgendwann sollen sie jedoch unabhängig sein.

Auch die Flüchtlingslager werden von den Frauen, so gut es geht, mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt. Während der häufigen und langen Ausgangssperren finden sie Wege, die Versorgung zu sichern. „Die Ausgangssperre hält uns nicht davon ab, unsere Arbeit fortzusetzen“, sagt Muna, „sonst müßten wir ja die Hälfte des Monats zu Hause sitzen.“

Betreut werden auch politische Gefangene und deren Angehörige. Auch 70 Mitglieder des Frauenverbandes sind zur Zeit im Gefängnis, viele von ihnen in der sogenannten „Administrationshaft“ - das heißt monatelange Verwahrung ohne Haftbefehl.

Die Intifada hat das Leben in den besetzten Gebieten grundlegend verändert. Einerseits hat die Gewalt und der permanente Ausnahmezustand viele Opfer gekostet. Andererseits haben sich mit den „Volkskomitees“ neue Formen der sozialen und politischen Organisation entwickelt. Hat die Intifada auch das Verhältnis zwischen Männer und Frauen verändert? Schließlich wird immer wieder betont, daß die Frauen heute viel aktiver und selbstständiger geworden sind. „Frauen und Männer arbeiten Hand in Hand“, antwortet Manal knapp. „Wir waren schon längst vor der Intifada in allen Lebensbereichen aktiv und haben uns in Komitees oder im Frauenverband auf den Aufstand vorbereitet.“ Jetzt, sagt sie, habe die gemeinsame Sache die Menschen noch mehr zusammengeschweißt. Und sie verweist auf die etwa 60 Frauen, die bislang im Aufstand getötet wurden, auf die unzähligen Verletzten und die vielen Fehlgeburten, die Frauen durch die Gasgranaten der Israelis erlitten haben. „Das ist ein Beweis dafür, wie stark wir an der Intifada beteiligt sind.“

Ulrike Helwerth