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Das große Fasten

Italiens Gastwirte machen dicht  ■  PRESS-SCHLAG

Was ursprünglich als opulentes Gastmahl geplant war, die Fußball-WM im Lande, wo die Pomeranzen, die Fettucine und der Rotwein blühen, gestaltet sich zeitweise zum fugalen Elendsschmaus. Der Neo-Prohibitionismus der Ayatollahs im italienischen Innenministerium hat den Ramadan nach Italien verpflanzt, das große Fasten ist angebrochen.

Denn das Alkoholverbot in den WM-Orten an den Spieltagen, die eigentlich rauschende Festtage für Italien werden sollten, legt mittlerweile nicht nur einige Innenstädte trocken, sondern sorgt auch für Hungersnot unter den Touristen: In Rom, als die Italiener gegen die USA spielten, schlossen aus Protest rund die Hälfte der Gaststätten. Ebenso in Mailand, als die BRD gegen die Emirate kickte.

Manche Stadtzentren ähneln langsam Geisterstädten des Wilden Westens, die angereisten biederen Fußballfreunde und Hooligans sind gut beraten, sich schon nachmittags mit belegten Brötchen einzudecken, die sie dann abends gemeinsam auf der Spanischen Treppe oder an der Piazza Duomo bei Cola und Acqua Minerale vertilgen können. Eine Diät aus Wasser und Brot für den Fußball. „Erst locken wir die Touristen an, und dann tun wir alles, um sie zu vergraulen“, beschwert sich einer jener Wirte, die sowieso schon genervt sind, weil der Ansturm ausländischer Besucher mitnichten so groß ist wie erwartet: „Mit dieser verdammten Verordnung haben sie uns endgültig ruiniert.“ Umsatzeinbuße in der ersten WM -Woche: 70 Millionen D-Mark.

Innenminister Gava zeigte sich zwar beeindruckt von der unerwarteten Alkoholabhängigkeit der protestierenden Bürger, die sich nur höchst ungern ihren Wein wegnehmen lassen, bleibt aber bislang unbeugsam. „Wir sind bereit, das Risiko der Unpopularität einzugehen“, bekräftigte er, milderte seine Order allerdings etwas ab und wies noch einmal daraufhin, daß es den Kommunen überlassen sei, wie sie das Alkoholverbot interpretieren. Viele Stadtpräfekten indes hatten anfänglich viel zu viel Angst, später eins auf den Deckel zu bekommen, wenn irgendwas schiefgeht, und sprachen lieber ein Totalverbot aus. In Florenz jedoch bröckelt die Prohibition bereits: Am Freitag vor dem Spiel Österreich CSFR wurde der Ausschank nur von 14 bis 22 Uhr untersagt. Auch in Palermo, Cagliari und Turin bekommt man hin und wieder ein Bier, sofern die Kugel innerhalb der nächsten Stunden nicht rollt.

Währenddessen werden in Supermärkten und Speiselokalen wahrhaft herzzerreißende Szenen kolportiert. Großmütter, die mit Tränen in den Augen die zum Geburtstag ihrer Enkelin ausgesuchte Flasche Spumante ins Regal zurückstellen müssen, Hochzeiten, Taufen, Kommunionen und Beerdigungen, die auf dem Trockenen sitzen. Das hat Antonio Gava nicht gewollt. „Aber nein“, verteidigt er sich, „die Regierung ist nicht so schlecht, wie es scheint. Ich meine nicht, daß eine Hochzeitsgesellschaft gezwungen werden sollte, nur Coca Cola zu trinken.“

Aber wo den Stoff herkriegen, wenn schon der Kaufvertrag über ein Glas Bier und seine Erfüllung eineinhalb Jahre Gefängnis in sich bergen - ein Jahr für den Verkäufer und ein halbes für den Käufer. Die ersten Restaurants haben schon Geldstrafen aufgebrummt bekommen, darunter die Nobelschuppen „Biffi Scala“ und „Savini“ in der mondänen Mailänder „Galleria Vittorio Emmanuelle“. Dort müssen die Hooligans nun darauf verzichten, sich für 50 D-Mark pro Flasche die Nase mit Wein zu begießen. In mehreren, weniger bekannten Restaurants wurden hingegen, versteckt unter dem Tisch, Weinflaschen gesichtet. Auch am Stadtrand soll es Verkaufsstellen geben.

Zusätzliche Verwirrung hat der Sicherheitsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes, Hennes, gestiftet. Der hat nämlich verraten, daß die harten Fans, die von vornherein auf Krawall aus sind, gar keinen Alkohol trinken, da sie für ihre Aktionen einen klaren Kopf benötigen. Die italienischen Behörden sind perplex. Da hört sich doch alles auf. Hooligans, die nicht saufen! Was soll man bei soviel Bosheit noch machen?

Matti

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