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Ein Kohlhaas im SPD-Filz oder: Die plötzliche Einsamkeit des Ulrich Barth

■ Horner SPD-Beirat allein gegen den Rest der Parteiwelt / Ortsvereinsvorsitzender empfiehlt Parteibuch-Wechsel / Fraktion verfügt Ausschluß

Wenn ein typischer Bremer Sozialdemokrat pünktlich seine Beiträge bezahlt, an werder-und derrick-freien Abenden gelegentlich zu seinen Ortsvereinssitzungen erscheint und ansonsten heimlich über die Bremer Kindergartenpolitik flucht, dann ist der Genosse Ulrich Barth kein typischer Bremer Sozialdemokrat. Nach neun Jahren sozialdemokratischer Basisarbeit hat es sich der 39-jährige Diplom-Ökonom und Mathematiker gründlich mit dem Rest der Bremer SPD-Welt verscherzt. „Er oder wir“ zogen kürzlich Barths GenossInnen in Ortsverein und Stadtteilbeirat Horn Bilanz über ihre Zusammenarbeit mit dem widerspenstigen Hans Dampf in allen Parteigassen. Nach 4 1/2 Jahren hatten die fünf SPD-Beiräte aus Horn, Lehe und Achterdiek endgültig die Nase voll von Barths Alleingängen und empfahlen ihm dringend einen Parteibuchwechsel - wahlweise bei den Grünen oder der FDP, Hauptsache raus aus der SPD.

Mit gutem Grund: Unbekümmert um Parteihierarchien und Fraktionszwänge kämpft Barth an allen Fronten des Stadtteils mit allen parteisatzungs- und verfassungsrechtlichen Mitteln gleichzeitig. Die Liste der Partei-Kräche des Ulrich Barth ist inzwischen lang. Zum Beispiel liegt Barth seit Jahren mit Bürgerschaftspräsident Dieter Klink in Fehde. Grund: Klink will Barth partout nicht verraten, warum er eine Petition zum Naturschutz im Hollerland kurzerhand als unbegründet zurückwies. Nach zwei Prozessen will Barth Klink jetzt vor die Bundesverfassungs-Kadis zerren, um der Ablehnungsgründe habhaft zu werden.

Im Dauerkrach liegt Barth auch mit Umweltsenatorin Evi Lemke-Schulte. Die verspricht schon seit Jahren, Barths schlimmen Ahnungen über eine alte Mülldeponie in Horn auf den Grund zu gehen. Getan hat sich bis heute nichts. Durch die Hartnäckigkeit seiner Eingaben in Sachen Horner Altlast verscherzte es sich Barth stattdessen auch noch mit den Genossen vor Ort. Sie befanden: Für einen Horner Genossen gibt wichtigeres zu tun, als die Genossin Umweltsenatorin ständig wegen einer alten Deponie zu nerven. Zum Beispiel: Einem verdienten Genossen zum Posten eines Ortsamtsleiters zu verhelfen. Und: Wieder machte sich Barth unbeliebt. Gegen alle Parteiraison bestand Barth auf Einsicht in die komplette Bewerberliste für den Posten - strafverschärfend in Gegenwart eines FDP-Mitglieds. Barths SPD -Ortsvereinsvorsitzender sah sich zu einem Erlaß genötigt, der Barth-Kontakte mit dem politischen Gegner für „genehmigungspflichtig“ erklärte.

Im Februar langte es auch Barths sozialdemokratischen Beiratskollegen endgültig: Per Presse-Erklärung machten sie schriftlich wahr, was sie Barth mündlich bereits angedroht hatten. Sie verfügten Barths Rausschmiß aus der Fraktion und schlossen ihn von allen Vorbereitungssitzungen aus. Auch diesmal machten sie die Rechnung ohne Ulrich Barth. Der schlug im novellierten Bremer Beirätegesetz nach und fand: Fraktionen sind darin gar nicht vorgesehen. Messerscharfer Rückschluß des diplomierten Mathematikers: Aus etwas, was es nicht gibt, kann man auch nicht ausgeschlossen werden. Gleichzeitig beschwerte sich der Geschaßte bei seiner Parteivorsitzenden, Ilse Janz, und bei Bürgerschaftsfraktions-Chef Claus Dittbrenner über die „skandalösen Verstöße offensichtlich völlig saturierter Funktionäre gegen einfachste demokratische Normen“. Seinen ehemaligen Beiratsgenossen empfahl Barth schriftlich den Besuch eines Volkshochschulkurses „zur Einführung in die Staatsbürgerkunde“ und legte die Ausnutzung von Gruppen -Rabatten bei der Teilnahmegebühr nahe. Während Dittbrenner inzwischen jede Einmischung in die inneren Parteiangelegenheiten an der Horner Basis ablehnte („Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was die SPD Fraktion mit dieser Angelegenheit zu tun hat“), blieb seine Parteivorsitzende ihm bis heute jede Antwort schuldig. Barth erwägt inzwischen Schritte vor das SPD-Bundesschiedsgericht, um seine Wiederzulassung zu Horner Parteisitzungen zu erreichen.

Auch vom parteiinternen Schriftverkehr ist Barth derzeit weitgehend ausgeschlossen. Nur gelegentlich erhält Barth noch Einladungen zu offiziellen Senatsempfängen, adressiert jedoch nicht an den Genossen Ulrich Barth, sondern an den Präsidenten des Bremer Teak-won-do-Verbandes, dem Barth seit Jahren außerparteilich vorsitzt. Umgekehrt verschwinden in jüngster Zeit auf rätselhafte Weise Schriftstücke aus der Feder des Horner SPD-Beiratsmitglieds Barth. Ein zweiseitiger Antrag, in dem Barth seit Februar Entsiegelungsmaßnahmen in Horn fordert, wurde bis heute nicht behandelt. Erst war er angeblich nicht eingetroffen, dann fand er sich im falschen Ordner wieder, dann war er versehentlich nicht allen Fraktionen zugeschickt worden. Dann langte es Barth. Gegen Ortsamtsleiter Horn kündigte er eine Beschwerde wegen Amtspflichtverletzung an. Schließlich heißt es im Beirätegesetz unzweideutig: „Bürgeranträge sind binnen sechs Wochen vom Beirat zu beraten.“

Dem Horner Ortsamtsleiter droht jetzt ein langwieriges Verfahren. Bei Barths Stehvermögen dürfte der Konflikt voraussichtlich im nächsten Jahrtausend vor der europäischen Menschenrechtskommission entschieden werden.

K.S.

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