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AUF DER BAUSTELLE

■ Kluge-Retro im Regenbogen-Kino und fsk

Da gräbt jemand: „Entweder gräbt sie sich einen Unterstand für den Dritten Weltkrieg, oder aber sie gräbt nach vorgeschichtlichen Funden.“ Gabi Teichert ist auf der Suche nach Material für eine patriotische Erfassung der deutschen Geschichte. Sie gibt sich Mühe; man sieht sie mit dem Spaten durch den Schnee hasten. Irgendwann ist sie verwirrt: „Das ist alles eine Frage des Zusammenhangs.“

Rückblick 1979: Uraufführung der Patriotin im Arsenal. Alle Kritiker waren versammelt, und alle waren gespannt. Auf der Leinwand lief der Film mit Montage, Chiffre, setzte sich in den Köpfen zusammen, alles so, wie Kluge es wollte. Irgendwann ging das Licht an, und alle hatten beim ersten Mal wieder nichts verstanden. Da stand Kluge auf und sagte, der Vorführer habe die Rollen verwechselt, aber auch mit vertauschten Rollen sei der Film gut, genauso gut, vielleicht sogar besser. Dafür entwickelt er gleich aus dem Stegreif eine typisch kluge Idee, und alle schrieben mit...

Man erwartet im Kino aber doch immer, daß eins auf das andere folgt, daß es eine Story gibt und alles irgendwie einen Zusammenhang hat. Kluges Filme - das hat sich rumgesprochen - sind „anders“. Es ist ein einzigartiges literarisches Kino jenseits des Erzählens von Geschichten, Materialanhäufungen aus Bildern, Dokumenten, Protokollen und Geschichtsfetzen, Ausgrabungsarbeiten.

Gegen seine Figuren ist Kluge herzlos wie das Arbeitsamt. Alle „personality“ ist weggeschnitten. Übrig bleiben Funktionsträger, Spezialisten in abgelegenen Berufsfeldern Kälteforscher, Beischlafdiebinnen, Feuerlöscher. Kluge rekonstruiert die Regeln, an denen Menschen festhalten, um die Orientierung zu wahren, aber es klappt beim besten Willen nicht. Juristen zwängen sich auf der Suche nach Ordnung durch die starren Gitter ihrer Paragraphenwelt, um im nächsten Gesetzesflur gegen die Wand zu prallen; Mathematiker verirren sich im Labyrinth ihrer Logik, Marxisten halten der falschen Wirklichkeit die richtige Theorie entgegen, und der gesunde Menschenverstand rennt gegen Betonwände. Aber unerbittlich glauben sie ans Glück, das treibt sie weiter.

Das Verhältnis zu den Dingen ist total verkehrt. In einer durch Abstraktion und Konkretion gespaltenen Welt ist sowohl der rechnende Kopf als auch das dumpfe Gefühl ein schlechter Berater. Kluges Geschichten gehen nicht gut aus, es sind allesamt „Lernprozesse mit tödlichem Ausgang“. Nirgends als in der negativen Entwicklung sieht Kluge Auswege versteckt. Die Wirklichkeit ist ein Block, verhängnisvoll der Zusammenhang. Kluge reißt alles auseinander, jongliert mit Dokumentarszenen und Spielszenen und mischt sie zum Tango zusammen. Wollte man sein Verhältnis zum Dokumentarmaterial verdeutlichen, ließe sich die DDR-Agentin Rita Merkel („In Gefahr und größter Not...“) zitieren. Sie ist der unbedingten Meinung, die wichtigsten Fakten lägen im Öffentlichen verborgen. Sie fotografiert Alltagsszenen - den bundesdeutschen Karneval, Polizeieinsätze - und verfaßt Berichte. Das Spionageamt wirft ihr vor, „Agentenlyrik“ zu betreiben. Alexander Kluges „Kinolyrik“ spielt mit den Dokumenten und ihrem Anspruch, authentisch zu sein, das Verhältnis „fiction/non fiction“ gerät dabei in die Schwebe. In dokumentarisch gefilmten Einstellungen tauchen immer wieder gespielte Personen auf, hasten quer durchs Bild, um sich im Gewühl der Einstellungen zu verlieren, oder mischen sich, wie die Patriotin auf dem SPD-Parteitag, ins Geschehen mit dem Anliegen, an dieser Geschichte dort irgendwie beteiligt zu sein.

Kluges Realismus richtet sich darauf, die „Realität als die geschichtliche Fiktion, die sie ist, auch darzustellen.“ Das Reale ist, so verstanden, immer auch seine Verlängerung ins Irreale, den Wünschen. In der Patriotin loten die Gebrüder Grimm die Tiefe des Landes aus. Kommentar: „Sie haben gegraben und gegraben und die Märchen gefunden. Ihr Inhalt: Wie ein Volk über 800 Jahre an seinen Wünschen arbeitet.“

Alexander Kluges Illusion: Mittels des Mediums Film die Rückübersetzung der Gefühle; die Installationen einer Kinomaschine, dem „Kraftwerk der Gefühle“. Diese Maschine arbeitet mit einer immensen Anhäufung von Bildern, die Montage organisiert Bildbrüche und bringt Gegensätzliches und Verbindendes zusammen. Das alles hat den Charakter einer Baustelle, auf der der Zuschauer mit imaginären Bauarbeitern beschäftigt ist. Und den Bildern unterlegt ist die Kommentarstimme von Alexander Kluge, die in einem merkwürdigen Kontrast zu den harten Schnitten wieder ans Erzählen glauben machen läßt. „Sie können überall andere Filme sehen als die Macht der Gefühle„ (Kluge).

Stosch/Orland

Alexander-Kluge-Retrospektive bis 1.7. im Regenbogenkino, vom 5.7.-18.7. im fsk. Termine siehe Tagesprogramm.

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