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HIRNSCHADEN

David Cronenbergs Film „Videodrome“ im Eiszeit-Kino  ■  „Death to Videodrome

Long live the New Flesh!

(Max Renns letzte Worte

Cronenbergs Film liefert eine ikonographisch ausgefeilte Beschreibung des sich entfaltenden, weltweiten Informationsnetzes des hyperrealen (Baudrillard) Spektakels (Debord) & seiner Implikationen für die Identität eines Subjekts. Der Plot: Max Renn ist Direktor einer Kabel-TV -Station, ständig auf der Suche nach hartem Material, mit dem er das Publikum füttern will. Die meisten Pornos lassen ihn kalt. Durch seinen Elektronik-Spezialisten Harlan wird er auf Videodrome aufmerksam gemacht - eine (angebliche) Satelliten-Sendung, die zunächst aus dem fernen Osten, dann aus Pittsburgh ausgestrahlt werden soll. Videodrome, wie es Renn ansieht, ist auf echt gemachte Folter, stundenlang, ohne Story. Renn ist fasziniert von der Show & versucht sein möglichstes, mit den Produzenten in Kontakt zu kommen vorgeblich aus rein ökonomischen Interessen. Er erfährt dreierlei: erstens, Videodrome ist authentisch, the real stuff, snuff; zweitens, obskure politische, daher gefährliche Absichten stecken dahinter; & drittens, ihm weiterhelfen könne wohl nur Brian O'Blivion (brain oblivion...). Auf der Suche nach diesem - einem Fernsehprofessor, der in der Art McLuhans über die Beziehung TV/Körper philosophiert & nur via Bildschirm in öffentliche Erscheinung tritt -, trifft Renn auf dessen Tochter Bianca, die die „Cathode Ray Mission“ leitet. Eine Art Heilsarmee der Image-Junkies, die in der Mission kostenlos Zugang zu TV -Geräten bekommen. Bianca schickt ihm eine Videokassette des Vaters, auf der O'Blivion dem staunenden Betrachter erläutert: „Der Fernsehschirm ist die Retina des geistigen Auges... Television ist Realität, & Realität ist weniger als Television... Ich hatte einen Gehirntumor, & ich hatte Visionen. Ich glaubte, die Visionen hatten den Tumor verursacht. Ich spürte, wie die Visionen zusammenwucherten & Fleisch wurden, unkontrollierbares Fleisch.“ Alldieweil erleidet Renn seine ersten Halluzinationen. Er kehrt zur „Cathode Ray Mission“ zurück & erfährt, daß Brian O'Blivion schon vor Monaten an seinem Tumor verstarb, daß er nur noch in Form einer gigantischen Video-Bibliothek existiert & daß Videodrome Signale ausstrahlt, die Gehirntumor auslösen, der wiederum Halluzinationen auslöst. Bianca fügt hinzu, daß ehemalige Partner ihres Vaters die Entdeckung für ihre eigenen sinistren Zwecke mißbrauchen wollen. Ungefähr ab diesem Punkt der Handlung ist für einen Großteil der Kritiker nicht mehr nachzuvollziehen, was nun an Realität bzw. Halluzination ist.

Unter anderem entwickelt Renn nach weiterem Sehen vonVideodrome-Bändern einen vagina-dentata-ähnlichen Schlitz im Bauch, der sowohl seine Pistole aufnimmt als auch später andere Videodrome-Kassetten. Hier wurde spekuliert, daß Cronenberg das „Neue Fleisch“ bisexuell betrachtet, aber wohl eher diese feminine Mutation des Protagonisten benutzt, um zu zeigen, daß er von nun an von jedermann „gefickt“, für seine/ihre Zwecke mißbraucht werden kann. All das greift zu kurz. Der menschliche Videorecorder Renn wird zum Fleisch, das von der Ordnung des Codes beschrieben wird, zur Einschreibfläche des Hyperrealen. Im weiteren Verlauf der Handlung tritt Barry Convex von „Spectacular Optics“ in Erscheinung. Er arbeitete sowohl mit O'Blivion zusammen, als auch mit Harlan, der, wie sich jetzt herausstellt, Renn absichtlich vorproduzierteVideodrome -Bänder zeigte, um ihn unter Kontrolle zu bekommen. „Spectacular Optics“ wollen Renns Kabelsender, um via Videodrome das Land in einen autoritären Staat zu verwandeln. Convex schreibt Renn eine neue Kassette in den Leib & programmiert ihn so, Renns Teilhaber zu ermorden. Anschließend wird er auf Bianca O'Blivion angesetzt. In der „Cathode Ray Mission“ jedoch erlebt er seine Kapelle der Gefahren, trifft auf seinen Doppelgänger (hübsche Variante des „Studenten von Prag“) & wird von Bianca umgedreht; er wird zum „Neuen Fleisch“, dessen erste Aufgabe die Liquidierung von Convex & Harlan ist. Nachdem er diesen Auftrag erfolgreich durchgeführt hat, trifft er in einem verlassenen, verwahrlosten Raum einen letztes Mal auf einen TV-Schirm. Dort erscheint ihm Nicki Brand, der ihn für seine sadomasochistischen Impulse öffnete & in einerVideodrome -Show zu Tode gefoltert wurde. Vom Bildschirm her erteilt sie ihm Anweisungen, daß er den letzten Schritt tun müsse, wirklich „Neues Fleisch“ zu werden - endgültig in den Raum des Hyperrealen einzutreten. Nachdem Renn im TV sieht, wie er sich eine Kugel in den Kopf jagt, folgt er auch diesmal der imaginären Vorgabe: er erschießt sich. Imaginäres & Reales sind eins geworden.

Cronenbergs erster High-Budget-Film von 1982 wurde zwar ausgezeichnet, von einer Großzahl von Kritikern aber als reaktionär abgetan. Zum einen aufgrund des typischen gothic -horror sub-plots des „mad scientist“, der Technik zum Wohl der Menschheit anwenden will & doch nur das Chaos vergrößert. Absage an den Fortschritt menschlicher Zivilisation. Zum anderen aufgrund seiner Darstellung von Frauen & (ihrer) Sexualität. Nicki Brand drückt sich eine brennende Zigarette an der Brust aus (eine Szene, die in der amerikanischen Fassung der Zensur zum Opfer fiel), wie überhaupt sie es ist, die Renn in S/M einführt. Nur aufgrund seines Begehrens für sie öffnet er sich den folgenden physischen Transformationen. Zudem sei es ja Nicki Brand, die als - genre-typischer - Vampir auftritt, der in Gestalt einer TV-Ikone das Subjekt Mann auflöst, ihn zum Eintritt in das Reich der Toten, des ewigen Hyperrealen auffordert. Und schließlich sei noch zu beanstanden, daß Cronenberg in romantischer Tradition aufstehe, den Verfall der Menschheit thematisiere & in Videodrome in Ununterscheidbarkeit zwischen „objektiver Wirklichkeit“ & „subjektiver Halluzination“ festschreibe, somit den Blick für eine wirkliche Analyse der politischen Zustände in der Welt verschleiere & deshalb ganz, ganz doll zu verdammen wäre.

Dem zu entgegnen also eine kurze hemmungslose Überinterpretation. Die Idee eines geschichtlichen Subjekts ist im Taumel von Echtzeit-Bildern und Live-Übertragungen aufzugeben. Der Körper & seine Sexualität können den Rahmen der Repräsentation nicht verlassen. Das Begehren des Körpers richtet sich nicht auf Nicki Brand & deren Unterwerfung, sondern auf das der Repräsentation, des Codes (S/M). Beides führt zur Auflösung eines fortschrittlichen Heldens, & so geschieht es. Das Hyperreale des heute bestehenden Videodromes - das Netz von Bildschirmen, Computern, Radios, Geldautomaten, elektronischen Überwachungsgeräten, etc. - ist mehr als eine soziale Beziehung unter Menschen, die von Bildern bearbeitet werden, vielmehr wächst es, dehnt sich aus, so daß das „Reale“ nicht mehr autonom existiert. Alles, was geschieht, geschieht auf dem Bildschirm. Das Spektakel der Bilder besetzt den Geist durch immer wiederkehrende Wiederholung, manipuliert die Imagination & dringt in das Unbewußte ein. (Das ist doch uralt; das wissen die Hindus seit rund 5.000 Jahren. Das „reale“ Leben ist ein Traumbild, das, aus dem Inneren kommend, nach draußen projiziert wird und dort materiell erscheint. Alles ist Maja (Traumbild) außer dem Träumenden - d.S.) Das Videodrome spielt dir deine geheimsten Ängste & Wünsche zurück - vorbei ist's mit dem ungeheuren „New-Age„-Schatz: der ureigenen, kreativen Imagination. Zudem arbeitet Videodrome an der Transformierung jeglichen Begehrens/Lebens in Simulation. Aber es sind nicht diese Anstrengungen, eine totale Umwelt zu generieren, sondern die Übernahme der TV-Klischees in Alltags-Realität, die die Grenzen zwischen Karte & Territorium verwischen. Wir leben von & mit gestanzten Bildern, die, in die Statistiken des Videodromes eingehend, als Realität behauptet & zurückgespielt werden. Darum geht es in Cronenbergs Film & darum, daß das Begehren den imaginären Anderen in den technischen Artefakten sucht, die ihrerseits die Wahrnehmung von Welt modifizieren.

R. Stoert

David Cronenbergs „Videodrome“ noch heute & morgen, jeweils 23.30 Uhr im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße, 1/36.

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