: „Jetzt kommen die feinen Pinkel hier rein“
■ Die taz befragte in Kreuzberg türkische Ladenbesitzer über ihre Kunden, Probleme mit dem Schwarzmarkt, über Erfahrungen mit wachsender Ausländerfeindlichkeit und ihre Perspektiven kurz vor der Wiedervereinigung
Kreuzberg. Noch wenige Tage bis zur Währungsunion, noch wenige Monate bis zu gesamtdeutschen Wahlen, Berlin bläst sich zur Hauptstadt auf, und in Kreuzberg haben die Hausbesitzer Blut geleckt und treiben die Mieten in die Höhe. Unheimliche Zukunftsaussichten - auch für die zahlreichen türkischen Ladenbesitzer.
Die Gerüchteküche brodelt, die Verunsicherung ist groß. Manche haben die neue Entwicklung längst durch drastische Mietsteigerungen zu spüren bekommen, anderen hat der Vermieter die Erhöhung schon mal angekündigt. Vielen droht dann das geschäftliche Aus, was um so schlimmer ist, als die ganze Familie vom Geschäft lebt.
Die wachsende Ausländerfeindlichkeit bekommen sie auch im Geschäftsalltag zu spüren. „Es sind ganz normale bürgerliche Kunden aus der DDR, nicht einmal Neonazis“, sagt Dogan S. aus dem Export-Import-Geschäft. Neulich habe er einen beim Klauen erwischt, „da hat der mich als dreckigen Türken beschimpft. Da habe ich die Kontrolle verloren und mich mit ihm geschlagen, bis wir auf der Erde lagen“. Dank der Autonomen, glaubt er, trauen sich die Skinheads und Neonazis nicht mehr nach Kreuzberg rein.
Sein Vater steht solchen Vorfällen gelassener gegenüber: er will ohnehin in die Türkei zurück. Für den Sohn ist das undenkbar. Dogan ist hier aufgewachsen und will hier bleiben. Schließlich habe er ein Recht darauf, wie alle anderen ein menschenwürdiges Leben zu führen.
Der Exporthändler ein paar Häuserblocks weiter zeigt sich da optimistischer, was die Zukunft betrifft. Seit der Maueröffnung ist die Kundschaft zahlreicher geworden. Einen polnischen Verkäufer hat er jetzt eingestellt, der ihm über Sprachprobleme hinweghilft. Wenn er seinen hohen Umsatz halten kann, wird er auch die Mieterhöhung überleben. Ausländerfeindlichkeit - nein, die spürt er eigentlich nicht. Wenn ihn etwas stört, dann der Schwarzmarkt, der für ihn eine empfindliche Konkurrenz darstellt. „Ist doch klar, daß die Leute dort kaufen, wo es billiger ist. Darum sollte sich die Polizei kümmern.“
Anfangs habe er sich noch gefreut über die Leute aus der DDR, berichtet der Obsthändler aus der Wrangelstraße. „Die haben alles, was sie bislang nicht essen konnten, wie verrückt gekauft.“ Jetzt ist der Konsumdrang deutlich zurückgegangen, „dafür benehmen sie sich jetzt so hochnäsig, als wären sie die besseren Menschen“. Seine West -Stammkunden, sagt er, sehen das auch so. „Die ärgern sich selbst, weil sich die Ostler ins gemachte Nest setzen und Geld in den Arsch gesteckt kriegen.“
Vier Häuser weiter, im nächsten Lebensmittelladen, macht ein Landsmann seinem geballten Ärger und Frust über einen Staat Luft, der sich um AusländerInnen nicht mehr kümmert. „Vor zwanzig Jahren haben sie uns hier reingesteckt, Ausländer, Penner, Autonome und arme Leute, jetzt sollen wir mit unseren Kindern zum Teufel gejagt werden, damit Kreuzberg zum Ku'damm wird und die feinen Pinkel hier reinkommen.“
Die Kioskbesitzerin auf derselben Straßenseite versteht den ganzen Trubel nicht. Letztens kam ein Team vom Fernsehen und wollte ein Interview mit ihr machen. Wohin sie denn gehe, wenn die Ausländer hier rausmüßten, wurde sie vor laufender Kamera gefragt. Dabei denkt sie gar nicht daran, hier wegzuziehen. Von Mieterhöhungen ist sie nicht betroffen, zur ihrer Kundschaft zählen viele Ostberliner, mit denen sie gut klarkomme.
Zu Deutschen habe sie ohnehin ein besseres Verhältnis. „Wenn ich mal etwas mit einer Behörde zu tun habe, dann machen das meine deutschen Nachbarn für mich.“
Saliha Özaytürk
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