: Offener Brief
■ an die Partei- und Landtagsfraktion der Grünen in Niedersachsen
an die Partei- und Landtagsfraktion der Grünen in Niedersachsen
Die Unterzeichner waren in der „Fachkommission“ Demokratie und Recht, die vor der Landtagswahl mögliche, jedoch unwahrscheinliche, Koalitionsverhandlungen vorbereiten sollte. Der Ablauf der Koalitionsverhandlungen erinnert uns an die Entstehung des Staatsvertrages zwischen BRD und DDR, dessen undemokratische Ausarbeitung mit Recht von SPD und Grünen kritisiert wurde. Gerade bei den Grünen mit ihrem basisdemokratischen Anspruch wurde diese Angelegenheit zur Chefsache erklärt. Niemand benötigte die „Fachkommissionen“ mehr.
Das Ergebnis der Verhandlungen kennen wir nur aus der Zeitung. Es wurde schon vielerorts als sehr mager kritisiert. Wer die peinliche Koalitionssucht am Bildschirm oder sonstwie mitbekommen hat, darf sich allerdings nicht darüber wundern, daß die Grünen in den Verhandlungen nicht mehr erreichten, als die SPD auf deren eigenes Programm zu verpflichten. Es kann nicht Aufgabe grüner Politik sein, eigene Programmatik zugunsten sozialdemokratischer zu vergessen. War doch die Gründung der Grünen gerade ein Reflex auf die wenig adäquaten Antworten der SPD auf die gesellschaftlichen, ökologischen, technologischen und politischen Entwicklungen. Etwas ratlos stehen wir vor dem Phänomen, daß bei grünen Mandats- und Postenträgern die einstige Radikalität verbaler Aussagen immer weniger mit ihrem politischen Handeln zu tun hat, sobald sie parlamentarisch eingebunden sind.
Daß der Bereich Demokratie und Recht, und hier insbesondere der Teilbereich Polizei und Verfassungsschutz in den Koalitionsverhandlungen zur völlig disponiblen Verhandlungsmasse wurde, können wir nicht akzeptieren. Ihr wißt so gut wie wir, welche Skandale diese Institutionen in Niedersachsen produziert haben. Diese Vorkommnisse haben strukturellen Charakter. Von Skandalen als etwas Besonderem, einem außergewöhnlich verludertem gesellschaftlichen Vorkommnis, kann mensch hier nicht mehr reden. Ihr wißt, daß der Staat und seine Ordnungsorgane sich in einer technologischen Umstrukturierung befinden, die die Arbeit dieser Organe revolutioniert. Das Einsetzen einer wissenschaftlichen Kommission, die ein Konzept für „eine an den Erfordernissen der modernen Industriegesellschaft ausgerichtete Polizei“ (taz vom 25. Mai 1990) erarbeiten soll, kann uns als Verhandlungsergebnis nicht befriedigen. Von den strukturellen Veränderungen bei der Polizei, die im grünen Wahlprogramm und von der „Fachkommission“ vorgesehen waren, ist nichts übriggeblieben. Unsere Reformvorschläge (zum Beispiel Polizeiausbildung und zur Kontrolle der Polizei) sind völlig unter den Tisch gefallen. Statt zum Beispiel die Abschaffung der kasernierten Bereitschaftspolizei durchzusetzen, wurden der Polizei sogar noch 500 neue Stellen bewilligt. Das greifbarste Ergebnis ist noch die Verlagerung des „Verfassungsschutzes“ als eigenständiges Amt in das Justizministerium. Ob dies aber ein geeigneter erster Schritt zu dessen Abschaffung ist, bezweifeln wir genauso wie die Tragweite der Koalitionsbeschlüsse zum Ausstieg aus der Atomenergie. An der Frage der Umweltministerin scheinen sich die Grünen völlig vertaktiert zu haben. Wenn schon Regierungsbeteiligung, dann hätte konsequent zumindest auch eine StaatssekretärIn im Innenministerium verlangt werden müssen.
Sollte trotz aller Kritik und Bedenken die grüne Landesversammlung dieses Ergebnis schlucken, versichern wir Euch, daß wir Euch bezüglich der Innenpolitik nicht in Ruhe lassen werden. Wir werden darauf dringen, daß Ihr Euch besonders intensiv an der Diskussion und Weiterentwicklung des Polizeireformkonzeptes beteiligt, an dem die Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht der Grünen, die Bundestagsfraktion und andere Gruppen, zum Beispiel kritische PolizistInnen, zur Zeit arbeiten und welches in Teilen der Öffentlichkeit schon bekannt ist. Wir erwarten, daß Ihr Euch innerhalb der Regierungskoalition dafür einsetzt, daß dieses Reformkonzept in Niedersachsen umgesetzt wird. Selbstverständlich sind wir zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Euch bereit, allerdings nicht mehr auf der Grundlage von Beschäftigungstherapie oder Alibikommissionen. Die Entwicklungen hin zu einer Ausweitung des autoritären Charakters dieser deutschen Gesellschaft sind zu ernst, als daß mensch auf deutliche Zeichen, daß wir diese nicht hinnehmen werden, verzichten kann.
Hartmut Aden, Winfried Holzinger, Sprecher der BAG kritischer PolizistInnen, Mathias Lübke, Sprecher der BAG Demokratie und Recht der Grünen, Hannover
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