Die Festung Europa steht

■ Heute wird das Schengener Abkommen unterzeichnet / Europa macht seine Außengrenzen dicht

Mit dem heute unterzeichneten Vertrag zwischen fünf EG -Staaten sollen die Grenzen zwischen diesen Ländern fallen. Der Einstieg in das Europa ohne Grenzen wird jedoch gleichzeitig zum Ausstieg aus einem humanen Asylrecht. Flüchtlinge sollen an den europäischen Außengrenzen hängen bleiben, Artikel 16 des BRD-Grundgesetzes zur Disposition gestellt werden.

Der Binnenmarkt wird eingeläutet, die Schlagbäume sollen fallen. So oder ähnlich werden die Schlagzeilen lauten, wenn heute die Mitgliedsstaaten des Schengener Vertrages mit ihrer Unterschrift den Wegfall der Binnengrenzen zwischen Frankreich, der BRD und den Beneluxstaaten beschließen. Daß dieses Abkommen weitreichende Folgen für die Flüchtlingspolitik haben wird, ist in der öffentlichen Debatte untergegangen. „Harmonisierung der Asylpolitik“ heißt es im offiziellen Jargon, „Festung Europa“ halten Mitarbeiter von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen entgegen. Ähnlich harsche Kritik wurde auch an der vor vier Tagen in Dublin unterzeichneten EG-Asylkonvention geübt.

Schon einmal, am 15. 12. 1989 hatte man in Schengen die Füllfederhalter zur Unterschrift gezückt. Buchstäblich in letzter Minute verhinderte eine Runde von Bundestagsabgeordneten die Unterzeichnung, weil nicht geklärt war, welche Folgen das Schengener Abkommen für die DDR haben würde. Solche Bedenken sind nun ausgeräumt. Die Außengrenze der Schengenstaaten im Osten liegt an der Oder -Neiße.

Der Startschuß fiel im Juni 1985, als sich die Avantgarde des geeinten Europa im luxemburgischen Schengen zusammenschloß, um zwischen den Benelux-Staaten, Frankreich und der Bundesrepublik bereits am 1.1.1990 Schlagbäume und Grenzkontrollen abzubauen. Allerdings wollte man vorher die aus Sicht der Regierungen lästigen Begleiterscheinungen eines grenzenlosen Binnenverkehrs beseitigen: Flüchtlinge, die in Westeuropa Schutz vor Verfolgung, Bürgerkrieg oder Hunger suchen. Die Verhandlungen über entsprechende Regelungen fanden hinter verschlossen Türen statt - nicht nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit, sondern auch des Europäischen Parlaments.

Auf den ersten Blick regelt die EG-Asyl-Konvention nichts weiter als die Zuständigkeit der Mitgliedsländer für die Bearbeitung von Asylanträgen. Es gilt das „one-chance-only„ -Prinzip: jeder Flüchtling soll nur ein Asylverfahren durchlaufen können - und zwar in dem Land, in das er zuerst eingereist ist. Was für die Behörden nach bequemer Arbeitsteilung aussieht, hat für die Betroffenen verheerende Folgen. Absehbar ist, daß diese Regelung keineswegs eine harmonisierende Wirkung auf die europäischen Länder hat: sie werden vielmehr um die restriktivste Einreisepolitik konkurrieren - nach dem Motto: je undurchlässiger die Grenze, desto weniger Asylverfahren.

Um auch diese erste und einzige Chance möglichst gering zu halten, haben sich die Unterzeichner der EG-Asylkonvention auf eine Liste von 59 außereuropäischen Ländern geeinigt, deren StaatsbürgerInnen zukünftig ein Visum bei der Einreise nach West-Europa vorweisen müssen. Für den Eintritt in einen der Schengen-Staaten werden die Hürden noch höher gesetzt: 97 Staaten stehen auf der Liste des Visumszwangs. Um das „one-chance-only„-Prinzip auch umsetzen zu können, haben sich sowohl die EG-Staaten, als auch die Schengenstaaten auf einen umfassenden Datenaustausch geeinigt. Abrufbar sind für die Schengener Mitgliedsstaaten im Rahmen des Schengen -Informations-Systems (SIS) aber auch auf informeller Ebene personenbezogene Daten von Flüchtlingen, als auch „allgemeine Informationen“ zum Beispiel über die Rechtsprechung in den einzelnen Ländern. Während in der EG -Asylkonvention Datenschützer nicht vorgesehen sind (Belgien, Spanien und Griechenland kennen bislang gar kein Datenschutzgesetz), sollen sie für die Unterzeichner des Schengener Zusatzabkommens als Aufpasser fungieren. Eine kaum zu bewältigende Aufgabe, denn „auf informeller Ebene“ läßt sich kaum nachprüfen, wer wem welche Informationen über Flüchtlinge weitergibt. Flüchtlingsgorganisationen befürchten, daß auch die Sicherheitsdienste aus Verfolgerländern Zugriff auf diese Daten haben.

Ziel der europäischen Abschreckungspolitik sind nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Transportunternehmen. Was bereits in der BRD im neuen Ausländergesetz gesetzlich geregelt ist, ist nun auch in Artikel 26 des Schengener -Zusatzabkommens vorgesehen: Transportunternehmen werden zu allen „erforderlichen Maßnahmen“ verpflichtet, sogenannte „Drittausländer“ unter den Passagieren nicht nur nach dem Ticket, sondern auch nach gültigen Reisedokumenten zu befragen. Hat er die nicht, muß das Transportunternehmen ihn auf Verlangen der Grenzbehörden wieder zurückbringen.

Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist unter diesen Umständen das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Die Unterzeichnerstaaten der GFK, darunter sämtliche EG -Mitgliedsstaaten, haben sich zu bestimmten Rechten für Flüchtlinge verpflichtet, die sich auf ihrem Territorium befinden. Außerdem sind sie völkerrechtlich gebunden, Flüchtlinge, denen Verfolgung, Folter oder Todesstrafe droht, an der Grenze nicht zurückzuweisen. Beide Regelungen werden obsolet, wenn Flüchtlinge in Zukunft gar nicht mehr an die Grenze, geschweige denn auf das Territorium eines EG -Staates kommen. „Die Staaten können sich zwar damit brüsten, die Konvention unterzeichnet zu haben“, erklärt Margit Gottstein, Asylexpertin von amnesty international, „doch die ist dann schon im Vorfeld ausgehebelt.“

Ein ähnliches Schicksal droht nun auch Artikel 16 des Grundgesetzes („politisch Verfolgte genießen Asyl“). Befürchtet wird nun, daß das Grundrecht auf Asyl demnächst mit Verweis auf das Schengener Abkommen und die EG-Asyl -Konvention abgeworfen wird wie lästiger Ballast (siehe Interview). Bezeichnend ist, daß die DDR in ihrer „Übergangsverfassung“ das Grundrecht auf Asyl unter Gesetzesvorbehalt gestellt hat. Ähnliches wurde immer wieder von westlichen CDU/CSU-Politikern gefordert, deren Asylexperten schon auf den Fluren des Berliner Innenministeriums gesichtet worden sind. Bei den herrschenden Verhältnissen wäre es durchaus denkbar, daß diese „Neuerung“ das einzige ist, was die DDR zur gesamtdeutschen Verfassung beisteuern darf.

Andrea Böhm