Meuterei auf 'Il Manifesto‘

■ Die Macher wehren sich gegen die Politeminenzen, die die linke Tageszeitung als ihre persönliche Postille betrachten

Werner Raith

Die Krise kam just in der Zeit des größten Verkaufserfolges: von mickrigen 35.000 Tagesauflage noch im Vorjahr schwang sich das 'Quotidiano comunista‘, wie es im Kopftext noch immer, mittlerweile eher trotzig, heißt, zu mehr als 80.000 Exemplaren hoch. Die Konsequenz einer bewußten, tagtäglich in der Spalten der „kommunistischen Tageszeitung“ ausgefochtenen Konfrontation mit dem Organ der „offiziellen“ Kommunistischen Partei, 'L'Unita‘. Deren junger Chefredakteur Massimo d'Alema nutzte ebenfalls die Gunst der Stunde und antwortete mit einer offenen Kriegserklärung gegen die „Altkommunisten“ von 'il manifesto‘ - womit er, ohne sie selbst ständig ansprechen zu müssen, auch die parteiinternen Widersacher seines Parteichefs Achille Occhetto treffen konnte, speziell die Leute um die charismatischste Persönlichkeit der Partei, Pietro Ingrao: dessen Ideen von einer Aufrechterhaltung der Kontinuität in der „großen Tradition dieser Partei, anstatt sich all die Schweinereien der korrupten Ost-Kommunisten ans Hemd zu heften“, haben mehr bei 'il manifesto‘ denn in der 'L'Unita‘ ihre Heimat, seit die PCI-Führung beschlossen hatte, Namen, Struktur und Klientel zu wechseln, vor allem aber auf den der Führungsriege allzu belastet erscheinenden Begriff „kommunistisch“ zu verzichten.

Der Streit bekam beiden Zeitungen gut - auch die 'L'Unita‘, schon vordem weltweit die einzige Parteizeitung, die auch als „normale“ Tageszeitung anerkannt ist, steigerte ihre Auflage nahe an 300.000 Exemplare heran. Doch was zum ökonomischen Erfolg wurde, schlägt nun verheerend auf die ideologische Diskussion zurück, zumindest was die interne Auseinandersetzung in 'il manifesto‘ angeht.

Dabei verlaufen die Fronten genau umgekehrt als man sie heutzutage erwarten würde: sagt man gemeinhin eher den jungen, auf Erfolg drängenden Leuten eine allzu enge Anbindung ans ökonomische Wohlergehen nach, so sind, zumindest innerhalb von 'il manifesto‘, gerade sie es, die den Kurs bremsen, auch unter Inkaufnahme eines Leserschwundes; und umgekehrt sind es die alten Hasen aus der Gründungsgeneration der Zeitung, die den Kurs der letzten Monate nicht nur fortsetzen, sondern auf unabsehbare Zeit durch eine strikte Anbindung an die „No„-Fraktion des PCI-Oppositionellen Ingrao festlegen wollen. Da die Mehrheit der Redakteure dies ablehnt, haben sich die Zeitungsgründer zum spektakulärsten aller Schritte entschlossen: Rossana Rossanda, Luigi Pintor, Vincenzo Parlato haben ihr Mandat als Mitglieder des Redaktionsrates niedergelegt und wollen fortan nichts mehr zu tun haben mit dem neuen, „trotz deutlicher Sympathien für die 'No'-Fraktion auf Unabhängigkeit bedachten Kurs“ (Selbsteinschätzung der Mehrheitsfraktion).

Tatsächlich reichen die Wurzeln des Zerwürfnisses jedoch viel weiter zurück als nur auf die seit den Ost-Wirren entstandene Krise der Linken im allgemeinen; „im Grunde“, vermutet eine der jüngeren Redakteurinnen, „ist es wohl auch schon ein gerontologisches Problem der Gründergeneration von 'il manifesto'“. Da ist was dran: Die 1969, nach ihrer harten Kritik an der trotz gewisser Vorbehalte noch immer starken Moskauhörigkeit des PCI nach der CSSR-Invasion der Ostblockarmeen von der Partei ausgeschlossene Gruppe um Rossana Rossanda, Luciana Castellina, Luigi Pintor, Lucio Magri hat in der Tat das Blatt - zuerst Monatsschrift, seit 1971 Tageszeitung mit starker Anlehnung an den (1986 wieder zum PCI zurückgekehrten) 'Partito di Unita proletaria‘ durchweg als eine Art persönliches Sprachrohr der einzelnen „fondatori“ behandelt. Die „politischen Köpfe“, mittlerweile allesamt ins Rentneralter vorgerückt, schrieben ihre Leitartikel und Polemiken, bestimmten, wer dem Blatt gerade paßte und wer nicht; fundierte Recherche und spektakuläre Vor-Ort-Reportagen kamen meist nur dann ins Blatt, wenn zumindest keine fundamental diametrale Interpretation einer der Eminenzen vorlag.

So etwa gerieten die akribisch vor Ort noch lange vor Tiananmen durchgeführten, weitsichtigen und oft prophetisch bis in die Einzelheiten prognostizierenden Berichte des Chinakorrespondenten nahezu stets an das harte Veto Rossana Rossandas, die sich in den 70er Jahren - ohne zunächst auch nur einmal in China gewesen zu sein - ganz dem Maoismus verschrieben hatte und die nun einfach nicht glauben und schon gar nicht akzeptieren konnte, was der junge und (im Gegensatz zu ihr sprachkundige) Kollege da berichtete. Dem innerhalb der politischen Redaktion aussichtslosen Journalisten blieb nichts anderes übrig als seine Stücke, klammheimlich mitunter, in der Sonntagsbeilage unterzubringen; heute arbeitet er für die größte Nachrichten -Agentur Italiens, die ANSA.

Wie sehr die Politbosse das linke Blatt für ihre persönliche Postille hielten, zeigten auch zahlreiche Episoden, die jeden anderen Redakteur seinen Posten gekostet hätten. So verlangten die Stars mitunter, daß bei bestimmten, ihnen teuren Themen grundsätzlich der Kommentar -Platz für sie reserviert blieb - und lieferten ihre Artikel dann dennoch mit mehrstündiger Verspätung nach Redaktionsschluß ab, sodaß die gesamte Herstellung durcheinandergeriet, die halbe Auflage nicht mehr ausgeliefert werden konnte - Tagesschäden von umgerechnet mehreren zehntausend DM waren die Folge.

Auch in der internen italienischen Politik bestimmten die Grand dames und seigneurs so ziemlich nach eigenem Gusto, wer und was gerade mal gefördert wurde und wer nicht. Hatte die Zeitung den seit Anfang der 80er Jahre immer deutlicheren Schwenk des Sozialisten-Chefs Bettino Craxi zum Neokonservativismus hart angegangen, so verliebte sich Rossana Rossanda kurz vor den Wahlen 1987 auf merkwürdige Weise in den machthungrigen Mailänder - er habe immerhin „bisher als einziger die seit 40 Jahren regierenden Christdemokraten in Bedrängnis gebracht“, und das lohne seine Unterstützung. Daß Craxi systematisch den behutsamen Wandel der Christenpartei unter dem damaligen Chef De Mita hin zu einer Partei ohne die selbstherrliche Herrschaft vom Bank- und Industriekapital bestimmter Provinzfürsten ebenso zerschlug wie dem Experiment einer antimafiosen Koalition in Palermo der Todesstoß versetzt wurde, kümmerte die Meinungsmacher von 'il manifesto‘ wenig; in der Redaktion hoben die jüngeren, aufmerksameren Mitarbeiter resigniert die Hände.

Neue Grundfragen wie etwa die Ökologie fanden ebenfalls nur sehr zögerlich und oft widersprüchlich Eingang in die Spalten der Zeitung; da die Ambientalisten keine umfassende und vor allem mit dem Marxismus kompatible Theorie vorweisen konnten, galten sie den Kursbestimmern lange Zeit eher als Sektierer denn als Künder einer neuen Bewegung.

Auch als sich die neuen Ereignisse im Osten anbahnten, versuchten die Chefdenker der Zeitung noch einmal, ganz ihren Besitzanspruch durchzusetzen. Verzweifelt fahndeten die Korrespondenten aus den einzelnen Ländern nach Verbündeten im eigenen Laden: ihre - sicherlich oft überschwenglichen und mitunter vorschnellen, manchmal von der Euphorie vor Ort bestimmten - Berichte wurden seitens der Zentralredaktion meist nicht etwa diskutiert und bei etwaiger Fehleinschätzung korrigiert, sondern oft einfach mit einem massiv in die Gegenrichtung zielenden Kommentar eines der Stars versehen; das Gefühl, hier ohne Anhörung vor dem gesamten Lesepublikum als betriebsblinder Dummlack dazustehen, griff um sich. Sehr spät erst rief die Redaktion die Auslandsmitarbeiter zu Einschätzungskonferenznen zusammen.

Dennoch haben die damaligen Rempeleien am Ende wohl zu dem geführt, was 'la Repubblica‘ nun die „Meuterei auf il Manifesto“ nannte: die jungen, an ihren eigenen Erkenntnissen orientierten Journalisten wollen und werden sich nicht mehr von der alten Garde gängeln lassen und ihre Interpretation nicht mehr fremdbestimmen lassen, auch nicht durch unbestrittene Denkmale der linken Kultur von einst.

Die Entfesselung des „Endkampfes“ ('il Giornale‘) gerade bei der Frage einer engen Anbindung an den Kurs des von allen 'manifesto'-Mitarbeitern hochgeschätzten Pietro Ingrao vom linken PCI-Flügel weist in diese Richtung: „Wir fühlen uns weiterhin als Kommunisten, auch wenn der PCI hundertmal seinen Namen ändert“, sagte ein Redakteur in einer der letzten Gesamtversammlungen fast wortgleich mit einem Ausspruch Ingraos, „und wir wollen in keiner Weise die Vergangenheit dieser großen Partei leugnen, nicht ihre Fehler und nicht ihre Verdienste. Aber wir nützen gerade der Opposition innerhalb des PCI nur dann, wenn wir uns nicht auf Gedeih und Verderb wieder an bestimmte Personen, Gruppen oder spezielle Vorstellungen anbinden“ - die Betonung der Rede lag auf „wieder“.

Der Aufstand hat freilich inzwischen nicht mehr nur Generationscharakter: auch die Frauen, in 'il manifesto‘ fast prozentgleich mit den Männern beschäftigt, haben (wie übrigens auch, zum Verdruß der PCI-Oberen, in der 'l'Unita‘) mit einer Diskussion ihres Selbstverständnisses und ihrer Perspektiven als Journalistinnen begonnen: die aufreibende Arbeit in der Redaktion ist für nahezu niemanden mit einer Mutterschaft in Einklang zu bringen, wesentliche Momente des Frauseins „kommen auch in unserer Berichterstattung allenfalls als Reportagen von Kongressen oder Manifestationen von Frauengruppen vor“, wie eine Redakteurin klagt; „und das kann doch wirklich nicht alles sein - gerade wenn wir für eine unabhängige, zum herkömmlichen Nachrichtenverwaltungsbetrieb alternative Zeitung streiten“.

Daß 'il manifesto‘ trotz der jahrelangen internen Lähmung durch Honoratiorenwirtschaft und Aufrechterhaltung eher traditioneller Arbeitsstrukturen bis heute - und wohl auch über die Demission der Oldtimer hinaus - eine respektable, in vielen Bereichen sauber recherchierende Zeitung geworden und geblieben ist, verdankt sie weniger den immer verstaubteren Blüten ihrer Leitartikler, sondern einer oft mit tausenderlei Tricks an den Klippen der Doktrinäre vorbeischippernden Crew meist junger FleißarbeiterInnen.

Die nehmen für monatlich gerade gut eine Million Lire (ca. 1.400 DM) oft Tag- und Nachtschicht auf sich, zaubern Interviews und Hintergrundgeschichten aus den unmöglichsten Ecken der Nation herbei und haben sich ein dichtes Informantennetz im ganzen Land aufgebaut. So bietet die Zeitung denn zusätzlich zu den aktuellen Seiten täglich abwechselnd eine ganze Anzahl überaus lesens- unf aufhebenswerter Ein- und Beilagen, von der 'Talpa‘ (einem Kultur-, Wissenschafts- und Büchermagazin) über 'il Capitale‘ (Wirtschafts-Informationen), 'il Lavoro‘ (von der Arbeitsfront) bis zum 'Cambero rosso‘, einem Feinschmecker und Reiseheft. Neueste Kreation (1989): Das 'Domenicale‘, die frühere politisch-literarisch-kulturelle Sonntagsbeilage, wurde zum eigenständigen Magazin, die ganze Woche am Kiosk, und am Sonntag ist die Tageszeitung 'il manifesto‘ in das 'Domenicale‘ integriert. Eine bisher einmalige Symbiose von Tages- und Wochenzeitung.