: Die Staubsauger des Universums
Amerikanische Astronomen glauben endlich Beweise für die Existenz Schwarzer Löcher im Weltall gefunden zu haben ■ Von Mathias Bröckers
Die Idee geht zurück auf Pierre-Simon de Laplace. Er hat sich im 18. Jahrhundert Gedanken über die Folgen einer Verdichtung der Schwerkraft gemacht. Der Physiker David Finkelstein veröffentlichte 1958 eine Arbeit über das Phänomen der „Ein-Weg-Membran“: Ein außerordentlich dichtes Gravitationsfeld zieht Licht und Objekte an und läßt sie nicht wieder entweichen. Sein Student Roger Penrose und dessen Schüler Stephen Hawking entwickelten auf dieser Basis in den 60er Jahren die Theorie über eine jenseits der Raum -Zeit liegende Eigentümlichkeit, für die John Wheeler 1969 den bis heute vielversprechen Namen fand: Schwarzes Loch.
Als Schwarze Löcher werden jene Regionen der Raum-Zeit bezeichnet , die vollkommen von der Schwerkraft beherrscht werden. Die Gravitation ist so stark, daß ihr nicht einmal das Licht entkommen kann und diese Regionen absolut schwarz erscheinen. Solche Schwarzen Löcher entstehen, wenn ein großer Stern - nach Vermutungen der Astronomen muß er mindestens die dreifache Größe unserer Sonne haben zusammenstürzt und dabei eine Masse unvorstellbarer Dichte bildet. Die zerquetschten Atome - ein Berg zusammengedrückt auf die Größe eines Sandkorns - erzeugen ein Schwerefeld, das stark genug ist, alles in seiner Nähe anzuziehen und nichts mehr entkommen zu lassen.
Die Theorie des Schwarzen Lochs hatte jedoch einen Haken. Zwar ließen sich mit ihr die zahlreichen Beobachtungen sichtbarer Sterne erklären, die um eine unsichtbares Etwas mit starker Anziehungskraft kreisen. Aber direkt beweisbar war dieses Etwas nicht: In seinem Zentrum wird jedes Objekt auf das Volumen Null reduziert. Raum und Zeit - und damit jede Beweisbarkeit - sind per definitionem verschwunden. Was blieb, war eine anregende Idee für Science-Fiction-Autoren und einige tollkühne Astrophysiker, die in den Schwarzen Löchern als einer Art kosmischer Zeitmaschine Schleusen zu parallelen Universen mit anderer Raum-Zeit sahen - und Unbehagen auf Seiten der Wissenschaft. Mit der quasi -mystischen „Singularität“ im Zentrum des Schwarzen Lochs, der Eigenschaft, jedes Objekt in Nichts zu verwandeln, wollten sich die Wissenschaftler ungern abfinden. Genausowenig wie mit der Tatsache, daß es mit irdischen Mitteln unmöglich sein sollte, diese riesigen kosmischen Staubsauger bei der Arbeit zu beobachten.
In der vergangenen Woche nun meldeten amerikanische Astronomen einen Erfolg. Bei einem Treffen der „American Astronomical Society“ berichteten sie von gigantischen Gaswolken, die in der Nähe des Milchstraßen-Zentrums gesichtet worden seien. Die Wolken aus heißen und geladenen Gaspartikeln mit Durchmessern von 12 Billionen Kilometern befinden sich im Sternbild des Schützen (Sagittarius A) und sind um eine starke Radioquelle gruppiert. Energiereiche Strahlungen aus unsichtbarer Quelle, die schon an zahlreichen Orten des Universums registriert wurden, gelten als Indiz für die Anwesenheit Schwarzer Löcher: Wenn Materie angesaugt und auf ein kleineres Volumen gepreßt wird, entsteht Wärme. Die Wirbel, die sich zwangsläufig um ein Schwarzes Loch bilden müssen, sind sehr heiß. Sie strahlen Energie ab, die über die gesamte elktromagnetische Bandbreite reicht, von Radiowellen bis zu Röntgen- und Gamma -Strahlen. Die Astronomen vermuten, daß es sich bei den jetzt entdeckten riesigen Gas-Klumpen um die Spuren handelt, die beim Absturz der Materie in den Sog des Schwarzen Lochs entstanden sind.
Gibt es sie also wirklich, diese magischen schwarzen Anziehungspunkte, denen nichts und niemand entrinnen kann, in denen der Raum auf Null reduziert wird und die Zeit stillsteht? Die Vorstellung der Schwarzen Löcher entstand nicht durch Beobachtungen. Sie entsprang physikalischen Berechnungen, deren Bestätigung Wissenschaftler nun seit etwa 20 Jahren am Himmel suchen. Dank Satelliten, Raumsonden und immer stärkeren Teleskopen häufen sich die Beweise, daß Schwarze Löcher tatsächlich existieren. Die merkwürdige Wolkenbildung im Sternbild des Schützen ist kein Einzelfall.
Der nach seiner Kurzen Geschichte der Zeit bekannteste zeitgenössische Physiker, Stephen Hawking, ist sich der Schwarzen Löcher so sicher, daß er sie ins Zentrum seiner Kosmologie gestellt hat. Er kam auf die einfache, aber geniale Idee, daß, wenn ein riesiger Körper zu einem Punkt zusammenfällt, dort die Gesetze des Mikrokosmos - die Quantenmechanik - herrschen müßten. Er berechnete, mit welcher Wahrscheinlichkeit es kleinen Partikeln am Rande des Schwarzen Lochs gelingen könnte, über den point of no return zurückzuhüpfen. Seine Berechnungen wurden experimentell bestätigt.
Tatsächlich scheinen die Schwarzen Löcher Energie zu emittieren, die nach ihrem Entdecker „Hawking-Strahlung“ genannt wird. Ein solches Schwarzes Loch wirkt zwar immer noch wie ein Staubsauger, freilich wie einer mit undichtem Beutel. Nach Hawking wird ein Raumfahrer, der im Schwarzen Loch verschwindet, weder in Nichts verwandelt, noch in ein Parallel-Universum geschleust. Er wird vielmehr in winzigen Quanten-Portionen wieder ausgespuckt. Dieses Schicksal blüht aber nicht nur einem unglückseligerweise vorbeikommenden Astronauten, sondern, so Hawkings Pointe, dem gesamten Universum, das regelmäßig durch das Nadelöhr Schwarzes Loch hindurch muß. Wenn sich das Universum weit genug ausgedehnt hat, zieht es sich zusammen, wird von einem gigantischen Schwarzen Loch angezogen, um neu gemischt mittels „Hawkingstrahlung“ wieder ausgespuckt zu werden und eine neue Runde zu durchlaufen. Dieses Spiel ist ohne Anfang und Ende. Es ist ein abgeschlossenes, endliches System, das keine Grenzen hat und, darauf ist Hawking besonders stolz, keinen Gott und auch keinen Urknall braucht. Letzterer stand nach Hawkings Vorstellung nicht am Beginn des Weltalls, sondern stellt nur einen Engpaß der geschlossenen Schleife dar, auf der sich das Universum in der Singularität des Schwarzen Lochs periodisch recycelt. Die beobachtbaren Indizien für Hawkings These vom Schwarzen Loch als A und O des Kosmos sind indessen mehr als mager: Als einzigen Beweis, daß nicht ein chaotischer Urknall, sondern ein schwarzes Loch am Anfang stand, kann er die Gleichmäßigkeit anführen, mit der sich das Universum heute darstellt. Es sieht, egal, von wo die Astronomen es betrachten, immer gleich aus. Die kosmische Hintergrundstrahlung ist in allen Himmelsrichtungen dieselbe. Doch daß sich der Weltraum irgendwann zusammenziehen wird, ist ebenso Spekulation wie Hawkings These eines universalen Schwarzen Lochs, das spurlos verschwunden ist, nachdem es seine letzte Beute einfach ausgehaucht hat: Unser gesamtes Universum einschließlich aller Schwarzen Löcher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen