: „Vati konnte ich doch nicht die Wahrheit sagen“
■ 25jährige Mutter wegen Kindstötung angeklagt / Neugeborenes aus Rücksicht „auf die lieben Nachbarn“ erstickt
Der gelernte Hafenarbeiter und Frührentner Hans T. ist „ein Mann alten Schlags“, erklärte gestern seine Frau Ursula dem Gericht die auffälligste Eigenschaft ihres Gatten. Hans T. besteht auf einer geregelten Arbeit, ehelichen Kindern und legt Wert auf alles, was die „lieben Nachbarn“ denken und vor allem - reden.
Hans T. hatte Grund zur Sorge: Von seiner Tochter er an, daß sie sowieso „in der Gosse enden würde“. Und das, obwohl er sich im Grunde nichts vorzuwerfen hatte. Schließlich hatte er seiner
Tochter ihr Leben lang klargemacht, wie sich eine „anständige“ Tochter benimmt: „Nimm dir doch mal ein Beispiel an Deiner Cousine“, war einer der Lieblingssätze im pädagogischen Repertoire des Hans T. Und in der Tat: Ein uneheliches Kind zum Beispiel hätte Cousine Biggi nie ins Haus gebracht.
Seit gestern sitzt Hans T.'s 25-jährige Tochter Manuela auf der Anklagebank der zweiten großen Strafkammer am Bremer Landgericht. Am 14. August 1989 soll Manuela T. in der Toi
lette ihrer Arbeitsstelle einen 3525 Gramm schweren und 53,5 Zentimeter großen, „voll lebensfähigen“ Jungen zur Welt gebracht und direkt nach der Geburt getötet haben: Kindstötung nach Paragraph 217.
Manuela T. erzählt stockend, immer wieder durch Schluchzen unterbrochen, was am 14.8.89 passiert ist. An jenem Tag hatte sie sich sowieso nicht „so besonders“ gefühlt, während sie im Akkord Autoteile zusammensteckte. Immer wieder schloß sie sich in eine der Damentoiletten ein. Und
plötzlich „ging alles ganz schnell“. In der Toilettenschüssel lag ihr zweites Kind, mit der nächsten Wehe kam die Nachgeburt. Manuela T. hob das Köpfchen ihres Sohnes an, zog die Spülung und - hatte panische Angst. Draußen stand eine Arbeitskollegin, die sich Sorgen um Manuela T. machte. „Ich habe bloß Durchfall“, versuchte sie, ihre Kollegin durch die verschlossen Klotür zu beruhigen, während die ihrem Sohn vorsorglich den Mund zuhielt und - so fanden Kripobeamte später jedenfalls die Leiche des Babies Toilettenpapier in den Hals stopfte. Als sie sich wieder unbeobachtet fühlte, ging Manuela T. an ihren Arbeitsplatz, holte ihre Tascheverstaute das vermutlich schon tote Kind darin und meldete sich für den Rest der Spätschicht krank. Ihr Vater holte sie ab. Als er ihre blutverschmierten Hosen sah und ihr zum Schutz der Polster ein Handtuch auf den Sitz legte, war er erleichtert. Gott sei Dank. Manuele hatte ihre Regel gehabt.
Monatelang hatte Hans T. dunkel eine fürchterliche Ahnung. Würde Manuela es wagen, ihm ein zeites Mal ein uneheliches Kind ins Haus zu bringen? Immer wieder hatte Hans T. seine Tochter zur Rede gestellt: „Bist Du schwanger?“ Und er hatte gleich dazugesagt, was dann passieren würde: „Ich verlasse dich und deine Mutter.“ Manuela beteuerte: „Ich bin nicht schwanger“, obwohl sie es spätstens seit dem 4. Monat besser wußte. Sie redete
nicht mit „Vati“ darüber, sie redete nicht mit „Mutti“ darüber, weil die es „Vati“ erzählt hätte, sie redete mit keiner Freundin darüber, weil sie keine hatte. Sie zog weite Pullover und erzählte ihren Arbeitskolleginnen, sie habe „Wasser im Bauch“. Nur der Vater ihres Kindes wußte Bescheid, und von ihm hatte sie sich längst getrennt.
Manuela T. wohnt mit ihren Eltern heute in der Nähe von Frankfurt. Ihre Großmutter, der das Bremer Haus gehört, in dem sie früher mit ihren Eltern gewohnt hat, hat die Familie rausgeworfen - wegen der Schande. Hans T. konnte das Gerede der „lieben Nachbarn“ sowieso nicht mehr ertragen. Die neuen Nachbarn wissen nichts von dem Prozeß, der zur Zeit gegen die aus Bremen Zugereisten läuft. Nicht einmal Manuela T.'s neuer Freund. Ihr erstes Kind ist inzwischen drei Jahre alt und das „Ein und Alles“ des Opa. Hans T. hat längst verwunden, daß es unehelich geboren wurde, „besonders seit er weiß, daß es ein Junge ist“. Manuela T. s zweitem Kind hat das nichts genützt. „Wenn sie verheiratet gewesen wäre, hätte mein Mann ja gar nichts gesagt“, erklärte Mutter Ursula gestern den Bremer Richtern.
Manuela T. war nicht verheiratet. Am 17. August 1989 fanden drei Kripo-Beamte die Leiche des Kindes in ihrem Kleiderschrank, versteckt in einer Reisetasche. Der Prozeß wird am Freitag fortgesetzt.
K.S.
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