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STEINIGE LIEBE

■ Das Habima-Theater gastierte mit „Else“ im Hebbeltheater

Ein Zimmer aus Stein. Im Vordergrund ein steinernes Bett, ein Tisch, ein Steinregal, im Hintergrund eine sehr blaue, abendliche Landschaft. Das Zimmer steht in der Inszenierung des israelischen Nationaltheaters „Habima“, das im Rahmen der Jüdischen Kulturtage im Hebbeltheater gastierte, für das Jerusalemer Exil der Dichterin Else Lasker-Schüler - in seiner Schönheit, Traurigkeit und Verlorenheit.

1939 kommt die 65jährige Dichterin in Jerusalem an. Else (Miriam Sohar) erscheint mit dem Koffer in der Hand und in bunten, chaotischen Gewändern. Es ist kalt, es ist Abend, und sie ist enttäuscht, weil niemand Notiz von ihr nimmt: „... ich dachte, daß alle Bürger Jerusalems meiner Ankunft freudig entgegensehen...“

Der einzige Mensch auf der Straße, der heruntergekommene Literaturkritiker Hermann (Alex Peleg), hat nichts anderes zu tun als ihr Toilettenartikel anzudrehen. Plötzlich jedoch erkennt er sie, ist entzückt vor Begeisterung, verspricht ihr, sie dem Bürgermeister vorzustellen, und erzählt ihr von seinen Kritiken über sie. Was Else zu dem Ausruf veranlaßt: „Ach, ich dachte, Sie wären Stefan Zweig oder Arthur Koestler...“ Sein Angebot, bei ihm zu wohnen, nimmt sie jedoch gerne an. Und damit beginnt ein endloses Beziehungsdrama.

Werner Hermann will Else Lasker-Schülers Gedichte auf hebräisch übersetzen, um mit einer Einleitung des Bandes einen Einstieg in die Jerusalemer Literaturszene zu finden. Er verehrt die Dichterin, die sich ihrerseits unsterblich in ihn verliebt, was zu immer drastischeren Auseinandersetzungen und mehreren Trennungen führt. Elses zärtliche Avancen an „Werner“ werden von ihm mit einem empörten „Frau Schüler!“ abgewiesen, bis er sie schließlich in einem (nicht sehr überzeugend gespielten) Wutanfall aus seinem Zimmer schmeißt, um wiederum selbst die Flucht zu ergreifen. Als er nach drei auf Parkbänken verbrachten Nächten zurückkommt, hat die Dichterin den Verstand verloren, und erst in diesem Zustand kann er sie endlich, das erste und letzte Mal, mit „Else“ ansprechen...

In diese Handlung eingebaut sind mehrere Dichterlesungen und die Probleme der Dichterin mit einer Öffentlichkeit, die sie nicht versteht. In diesen Lesungen spricht Miriam Sohar zum Publikum hin und trägt auch einmal ein Gedicht auf deutsch vor - ungeübt und mit einer reizvollen Aussprache „Ich weiß, daß ich bald sterben muß...“ Aber die wesentliche Handlung spielt sich zwischen Else und Hermann ab, denn die öffentlichen Auftritte spielen in ihre Beziehung hinein. Etwa, wenn Else Lasker-Schüler von Besuchen bei Dichtern wie Agnon oder Martin Buber mit einer ganzen Diebesbeute an Löffeln und Gabeln wiederkommt und damit Hermanns deutsche Moral erschüttert oder wenn sie bei ihrer letzten Lesung dem ganzen Publikum verkündet, daß Hermann sie ins Bett gezerrt habe (was stimmt)...

Werner Hermann ist eine fiktive Figur, Elses Geschichte ist so oder ähnlich verlaufen. Was wollte Motti Lerner, der Autor des Stücks, an Werner Hermann zeigen? Die Wirkung einer Dichterpersönlichkeit wie Else Lasker-Schüler auf ihre Umgebung? Die Konflikte der deutschen Emigranten in Israel? Die erotischen Kaprizen Else Lasker-Schülers? Das Stück schwankt zwischen Komödie und Tragödie, es ist zu wahr, um komisch zu sein, hat aber auch zu viele Kalauer, als daß es tief ergreift. Die schauspielerischen Leistungen von Miriam Sohar und Alex Peleg stehen einem Stück gegenüber, das die ganze Realität einer Person in ihren letzten Lebensjahren nur im Spiegel einer Beziehung zeigt.

Ayala Goldmann

„Else“ vom Habima-Theater, nur noch heute im Deutschen Theater.

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