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„Los, Pazifist: Füttern!“

■ „Shalom, General“ - Ein Film von Andreas Gruber über den Alltag in einem Wiener Altenpflegeheim

Los, Pazifist: Füttern!“ so das Kommando des Generals. Roman schneidet das Fleisch in Stücke und beginnt, den General zu füttern. „Zu groß!“ Geduldig halbiert der Zivildiener, so die österreichische Bezeichnung für Zivildienstleistende, das Fleischbröckchen und schiebt es General Kulat in den Mund. „Jetzt Salat! Fleisch, Kartoffeln, Salat - in dieser Reihenfolge. Fleisch, Kartoffeln, Salat. Hast du verstanden, Pazifist?“ „Shalom, General“, erwidert der Zivildiener, sichtlich bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren.

Kulat war einer der jüngsten Wehrmachtsoffiziere Großdeutschlands. Bis ihm ein „feiger Bolschewist“ von hinten in den Rücken schoß. Aber dafür hat er ein 1a Verwundetenabzeichen bekommen. Das war vor 40 Jahren. Jetzt ist General Kulat einer der Patienten, die der Zivildiener Roman täglich zu versorgen hat.

Doch da ist nicht nur der General. Ein Zimmer weiter liegt Resi. Sie ist das „Dornröschen“ der Station, weil sie ständig schläft. Und Rosi, die unermüdlich vor sich hinmurmelt, aber eines Morgens keinen Mucks mehr von sich gibt. Roman gerät in Panik, weil er glaubt, sie sei gestorben. Die herbeigerufene Krankenschwester schafft es jedoch, Rosi aufzuwecken. „So schnell stirbt man hier nicht“, sagt sie zu Roman, und Rosi beginnt vergnügt zu kichern. Herr Meyer ist noch so rüstig, daß er abends in der „Würstchentankstelle“ an der Theke sitzen kann. Nur gegen das Gewaschenwerden sträubt er sich jeden Tag aufs neue. „Weil es die einzige Möglichkeit ist, sich gegen die tägliche Tyrannei zu wehren“, sagt er zu Roman.

In Shalom, General beschreibt Andreas Gruber den Alltag eines Wiener Altenpflegeheims aus der Sicht eines jungen Zivildienstleistenden. Der erste Eindruck ist erschreckend: Faltige magere Arme, Beine und Rücken, ausgemergelte Körper, die in ihrer Hilflosigkeit an Säuglinge erinnern. Ausziehen, waschen, Windeln wechseln. Die blauen für den Tag, die grünen für die Nacht. Anziehen, aus dem Bett heben und füttern - das ist die tägliche Arbeit des Pflegepersonals. Alter, Zerfall und Tod, ein Thema, das in unserer Gesellschaft nahezu tabu ist. Wer von uns hat schon regelmäßigen Kontakt mit alten Leuten, wer ist mit Gebrechen und Tod in Berührung gekommen? Bilder aus einer fremden Welt. Doch Andreas Gruber nähert sich dem Thema weder voyeuristisch noch pädgogisch moralisierend. Mit einer überraschenden Leichtigkeit führt er uns das letzte Kaptiel des Lebens vor Augen.

Einfühlsam portraitiert die Kamera die eigenwilligen Alten und begleitet den Pazifisten in seinen roten Turnschuhen, der allmählich die Angst und den Widerstand gegen die Auseinandersetzung mit dem Sterben überwindet. Trotz der ernsten Thematik ist Shalom, General ein heiterer Film. Eine weise Entscheidung der Jury, Andreas Gruber für Shalom, General den Max-Ophüls-Preis 1990 zu verleihen.

Marina Schmidt

Andreas Gruber: Shalom General, mit Rainer Egger, Dieter Naumann, Susanne Geyer, Andrea Wolf, Österreich 1989, 100 Min.

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