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Wie man einen Film verstümmelt

■ R.W. Fassbinders „Warnung vor einer heiligen Nutte“ (1970) und was Peer Raben daraus gemacht hat. Eine Kriminalgeschichte

Michael Töteberg

Die frühen antiteater-Filme mochte er später nicht mehr. Als im Mai 1982 Katzelmacher ans Fernsehen verkauft werden sollte, lehnte Fassbinder ab: Die Leute sollten seine jetzigen Filme anschauen. Von Joe Hembus für sein Buch über den deutschen Film um Hitlisten positiver und negativer Art gebeten, reihte Fassbinder gleich drei antiteater -Produktionen unter die Rubrik „ekelhaft“ ein. Aber der letzte Film aus dieser Zeit, Warnung vor einer heiligen Nutte, nahm eine Sonderstellung ein. Fassbinders zehnter Film, der zugleich das Ende des antiteaters markiert, wurde sein erster, den er gelten ließ. Im Hembus-Buch werden „Die Top Ten meiner eigenen Filme“ von Warnung vor einer heiligen Nutte angeführt. Und noch kurz vor seinem Tod sprach er davon: Wenn einmal Geld vorhanden sei, wolle er die Musikrechte ablösen und den Film ins Kino bringen.

Denn Warnung vor einer heiligen Nutte konnte im Kino nicht gezeigt werden. Die Musik ist integraler Bestandteil des Films, Stücke von Donizetti und Elvis Presley, von Leonard Cohen und Spooky Tooth, kurz Musiktitel, in denen das damalige Lebensgefühl zum Ausdruck kam. Doch diese Musik war für das antiteater damals unbezahlbar, also konnte der Film nur einmal im Fernsehen gezeigt werden.

Dabei handelt es sich um ein Schlüsselwerk, das radikal mit Illusionen aufräumt und damit Platz für Neues schuf. Hier ging etwas zu Ende, zugleich war es ein Anfang. Vordergründig geht es um Dreharbeiten; Warnung vor einer heiligen Nutte ist Fassbinders 8 1/2. Das antiteater spielte sich selbst - allerdings mit vertauschten Rollen, und dem Film ist die Lust anzumerken, die Gruppenmitglieder mit all ihren Tricks und Allüren zu porträtieren. Doch es blieb nicht bei der Selbstbespiegelung. Das eigentliche Thema ist: Wie arbeitet eine Gruppe? wie entstehen Führer -Positionen? Ein gruppendynamisches Lehrstück geradezu, an dem sich der wechselseitige Mechanismus von Macht und Autoritätshörigkeit studieren läßt. Einst hatte das Antiteater-Kollektiv frohgemut verkündet: „Chaos macht Spaß.“ So einfach war das nicht. Statt Ängste abzubauen, nahm der Repressionsdruck eher zu. Statt offener Strukturen entstand ein System von erotischen Beziehungen und Abhängigkeiten. Statt Kreativität freizusetzen, brach sich die Lust an der Destruktion Bahn. Statt freier Menschen gebar das Experiment kleine Monster - Vampire, die ihn aussaugen, klagt der Regisseur im Film. Nein, es hatte nicht funktioniert. Jetzt galt es, sagte Fassbinder in einem Interview, „aufzuwachen und einzusehen, daß man von etwas geträumt hat, was es gar nicht gibt“.

Der Film - „gewidmet den Ratten von Hameln und ihrem Fänger“, wie es auf einem Manuskript heißt - formulierte Fassbinders subjektive Wahrheit über die Gruppe. Abgesang auf eine Utopie, auch eine schonungslose Reflektion der eigenen Doppelrolle: Fassbinder beutete die Gruppe aus, und die Gruppe beutete ihn aus. Doch weil der Film nicht in die Kinos kam, blieb er nahezu unbekannt, wurde mehr und mehr zu einem bloßen Gerücht.

Um so überraschter war ich, als ich vor zwei Jahren in einer Amsterdamer Buchhandlung ein Video fand: Fassbinder's Negende. Darunter verbarg sich Warnung vor einer heiligen Nutte, deutsch mit holländischen Untertiteln. Copyright-Angabe: Thorn EMI 1984, Antiteater film Wilhelm Rabenbauer 1970.

Daß im Video-Geschäft immer wieder Cassetten auf den Markt gebracht werden, ohne daß die Lizenz dazu erteilt wurde, ist bekannt, darum mag sich der betroffene Verleih kümmern. Nicht stillschweigend hinnehmen aber sollte man, was mit Fassbinders Film angestellt wurde.

Zunächst einmal: Natürlich wurde nicht die originale Musik belassen - dies wäre ins Geld gegangen -, sondern schlichtweg der Film mit neuer Musik unterlegt. Neu heißt nun nicht, daß Peer Raben alias Rabenbauer etwas neu komponiert hätte, sondern er mischte alte Titel unter, Stücke wie Much Tenderness (Text RWF, aus Der amerikanische Soldat), Good Evening (aus Die Sehnsucht der Veronika Voss) und Men are at Peace (aus Querelle). Anstelle der zeitgenössischen Popmusik, die in dem Film aus dem Jahr 1970 sozusagen zur Gruppenidentität gehört, wurde also wahllos auf diverse Fassbinder-Filme zurückgegriffen (von einer frühen Antiteater-Produktion bis hin zu seinem letzten Werk). Die große Donizetti-Arie, die im Original die drei letzten Szenen begleitet - immerhin fast vier Minuten! - wird im Video durch eine Komposition von Raben ersetzt. Szenen, die im Original ohne Musik sind zum Beispiel die Ankunft des Regisseurs im Helikopter oder Jeffs Gespräch mit Ricky -, sind nun mit Musik unterlegt. Die postume Neubearbeitung, die sich „Fassbinders Hauskomponist“ angemaßt hat, ist also weit mehr als nur der Versuch, das Problem der urheberrechtlich geschützten Musik zu umgehen.

Es blieb nicht bei der musikalischen Neubearbeitung. Die Vorspanntitel, wo Angaben zur Musik gemacht werden, wurden weggeschnitten, neue Titel über bewegte Bilder kopiert. Damit wurde frei gedichtet. Die Kennzeichnung „Ricky, der Hauptdarsteller“, ist, kennt man den Film, ebenso unsinnig wie die Zeile „Candy, italienischer Aufnahmeleiter“ - im Film spricht Candy jedenfalls immer nur spanisch. Zum Schluß der Schauspielernennung im Video wird herausgestellt: „und als Gast Rossano Brazzi“, ein Name, der in der Titelei des Originals nicht einmal auftaucht. Und: Der Film endet mit dem Zitat von Thomas Mann als Schrifttitel. In der Videofassung gibt es statt dessen einen neu hinzugefügten Abspann (erste Position: „Musik: Peer Raben“). Und das Motto: „Hochmut kommt vor dem Fall“ wurde bei dieser Aktion auch gleich eliminiert.

Es blieb nicht bei der Neuformulierung der Titel, der Änderung von Anfang und Ende des Films. Zentrale Szenen und Sequenzen wurden einfach herausgeschnitten.

Der Film beginnt mit Werner Schroeters Erzählung von Goofy und dem Gangster Winz-Willi. Die Pointe der Geschichte („Das muß ja ein schöner Schock für das arme kleine Mädchen gewesen sein, als es gemerkt hat, daß es ein Einbrecher ist“) ist geradezu ein Schlüssel für den gesamten Film: Der Wolf im Schafspelz oder das Erschrecken darüber, daß sich im schönen Traum von der freien Künstlerkommune das ganz normale Ausbeutersystem versteckt. Von der ganzen Szene ist in der „Neufassung“ nichts übrig geblieben.

Die lange Sequenz an der Hotelbar wurde gegen Ende um 5'35 Minuten gekappt. Die Szene am Meer, wo deutlich wird, das Jeffs rüde Schimpfkanonade eine versteckte Liebeserklärung ist, fehlt. Die Diskussion über Spaß und Abhängigkeit ebenso. Dabei spiegelt doch gerade diese Szene authentisch den Diskussionsstand im Antiteater-Kollektiv und spricht die Gründe des Scheiterns an, führt also geradewegs zum zentralen Thema des Films.

Weitere Beispiele wären anzuführen. Um das Ausmaß klar zu machen, genügt ein Vergleich der Spieldauer von Fassbinders Film und dem ominösen Video. Gut 14 Minuten aus dem Original wurden eliminiert.

Natürlich wurden alle diese unerlaubten Eingriffe nicht für das holländische Video vorgenommen: In dieser verstümmelten Fassung wird der Film von einem Schweizer Filmverleih angeboten; so wird er in Lissaboner Kinos vorgeführt. Nur in Deutschland wagte man es nicht, die kastrierte Version zu zeigen - dann wäre der Skandal schon früher aufgeflogen.

Die Kriminalgeschichte hat noch keinen befriedigenden Schluß. Fest steht: Kurz nach Fassbinders Tod bekam seine Mutter einen Anruf aus Rom. Peter Berling, der damals die Drehbarbeiten in Sorrent organisiert hatte, wollte ihr Einverständnis zu den Plänen des italienischen Co -produzenten, die Originalmusik gegen Titel aus dem Archiv auszutauschen. Später stellte sich heraus, daß diese Filmfirma bereits seit 1973 gar nicht mehr existiert. Fest steht auch: Peer Raben hat, ohne auch nur die Erben über seine Pläne zu informieren, bei den Geyer-Kopierwerken in Berlin die Herausgabe des Negativs verlangt. Am 20.Dezember 1982 wurde das Negativ an die Firma Foto Cinema, Rom, geschickt, von wo es bis heute nicht zurückgeschickt wurde.

Seitdem verliert sich die Spur. Das Negativ ist verschwunden, vielleicht gar bei der Herstellung der verstümmelten Neufassung zerstört worden. Erhalten ist nur eine einzige Kopie der authentischen Fassung; sie befindet sich im Archiv des Münchner Stadtmuseums.

Produzent des Films war, neben der Nova International Rom, das antiteater. Antiteater-X-Film GmbH heißt es einmal im Nachspann, aber diese GmbH wurde nie gegründet - man verstand sich eben als Künstlerkollektiv, für das derlei bürgerliche Rechtsformen nicht nötig waren. Der Traum zerplatzte, davon handelt Warnung vor einer heiligen Nutte. Als dann Schulden abzuzahlen waren, das Finanzamt sich meldete und Nachforderungen stellte, war es Fassbinder, der fürs antiteater gradestehen mußte.

Ein trauriges Nachspiel zu einer Utopie, die so hochgemut begann. Die Rechtslage ist eindeutig: Peer Raben hat zwar als Geschäftsführer die Verträge unterschrieben, aber er war nicht der Produzent des Films, das war das antiteater. Ganz gewiß hat Raben nicht das Recht, den Film nach Fassbinders Tod zu ändern, Szenen zu eliminieren und neu zu montieren. Der Diskussion um das Recht auf den „Final Cut“ fügt dieser Fall von eklatanter Urheberrechtsverletzung eine makabre Pointe hinzu.

Als 1971 ein paar Kritiker Warnung vor einer heiligen Nutte sahen, waren sie beeindruckt. Wolfgang Limmer meinte, dies sei „Fassbinders intensivster, ehrlichster und schönster Film“. Nach dem Urteil der 'Süddeutschen Zeitung‘ handelt es sich um „ein einmaliges, unschätzbares Dokument“. Es ist widerrechtlich verstümmelt worden.

Rainer Werner Fassbinder: Warnung vor einer heiligen Nutte. Kamera : Michael Ballhaus, mit Lou Castel, Eddie Constantine, Hanna Schygulla, Ingrid Caven, Harry Baer, Werner Schroeter, Margarethe von Trotta u.a., UA 28.8.71 (Biennale Venedig), BRD/Italien 103 Min.

Der Autor ist Filmhistoriker, zuletzt hat er eine Fellini -Monographie bei Rowohlt veröffentlicht. Er gibt den Nachlaß R.W. Fassbinders heraus (u.a. „Filme befreien den Kopf“ und „Die Anarchie der Phantasie“ bei Fischer).

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