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Ist das Karl-Marx-Krankenhaus in Managua zu retten?

Das größte Entwicklungsvorhaben der DDR soll als deutsch-deutsches Projekt gerettet werden / Für 300.000 Menschen wäre die Schließung eine Katastrophe  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

Noch vor wenigen Monaten galt der revolutionäre Kleinstaat in Zentralamerika als eine Art Lieblingskind Erich Honeckers. Nicaragua wurde vom Arbeiter- und Bauernstaat mit großzügigen Krediten, Sachspenden und Solidaritätsprojekten überschüttet. Sieben Monate nach dem Fall der Mauer und vier Monate nach dem Fall der Sandinisten scheint diese Zeit Ewigkeiten zurückzuliegen. Als der frischgebackene Entwicklungsminister Hans-Wilhelm Ebeling im Schlepptau seines Amtskollegen und Parteifreundes Jürgen Warnke im April zur Angelobung Violeta Chamorros nach Nicaragua kam, hatte er ein dringendes Anliegen: die Ernst-Thälmann-Schule in Jinotepe, wo Techniker von DDR-Lehrern ausgebildet werden, muß umgetauft werden. „Mit dem Namen verbinden sich für uns unangenehme Erinnerungen“, sprach Ebeling nach einem Besuch in Jinotepe, 40 km südlich von Managua.

Ein ähnliches Schicksal wird wohl auch das Karl-Marx -Krankenhaus erleben. Das größte Entwicklungsvorhaben, das die DDR jemals im Ausland auf die Beine gestellt hat, soll aber als deutsch-deutsches Projekt gerettet werden. Das Hospital Carlos Marx liegt im Nordosten der großflächigen Hauptstadt Managua, am Rande der „barrios orientales“, der Arbeiterviertel nahe der Industriestraße Carretera Norte und der Vororte Tipitapa und San Francisco Libre. Für die etwa 300.000 Menschen, die in diesem Einzugsbereich leben, wäre der Zusammenbruch des Krankenhauses eine Katastrophe. Deutsche Disziplin und Effizienz, die sonst in diesen Breiten eher belächelt werden, vorbildliche hygienische Bedingungen und der zuverlässige Vorrat an Medikamenten haben dem Krankenhaus zu einem guten Ruf verholfen.

An das Zeltlazarett, das 1985 hier aufgestellt wurde, erinnern heute nur mehr die ausrangierten Feld-OPs der Volksarmee, die auf dem Gelände stehen und für Notfälle in Schuß gehalten werden. Die Zelte sind ab 1986 durch 21 Fertigteilbauten mit insgesamt 230 belegbaren Betten ersetzt worden, in denen heute monatlich 800 Patienten stationär behandelt werden. Neben den Pavillons für allgemeinmedizinische Behandlung gibt es eine Gebärklinik, eine Kinderabteilung, eine hochmoderne Chirurgie und eine Augenambulanz.

Getragen wurde das Projekt von der FDJ, die damals in der DDR durch mehrere Brigade-Einsätze auf die meiste Erfahrung in Nicaragua zurückblicken konnte: das Personal stellten das Gesundheitsministerium und ein Ingenieurskombinat in Dessau. Techniker sind wegen der komplizierten Technologie des Spitals unter der etwa 60 Personen starken DDR-Mannschaft überproportional vertreten. Nach der Auflösung der FDJ mußte die Trägerschaft zunächst auf das offizielle Solidaritätskomitee übertragen werden. Denn das nicaraguanische Gesundheitsministerium, das derzeit nicht einmal imstande ist, die nationalen Krankenhäuser mit Medikamenten und Nahrungsmitteln zu versorgen, würde unter der zusätzlichen Belastung völlig zusammenbrechen. Die jährlichen Betriebskosten des Carlos Marx werden auf etwa neun Mio. DDR-Mark oder vier Mio. DM geschätzt. Die Kosten sind außergewöhnlich hoch, weil das Krankenhaus eine Art Inselbetrieb ist: als ob ein Kreiskrankenhaus aus der DDR in die Tropen verpflanzt worden wäre. Von den Bauteilen der Gebäude über den Dampfkessel für die Waschmaschinen bis zum chirurgischen Gerät ist alles aus der DDR eingeführt worden. Sogar der Strom muß eigens aufbereitet werden. Denn während die nicaraguanischen Elektrizitätswerke Strom mit einer Frequenz von 60 Hertz liefern, verlangen die komplizierten Geräte die DDR-üblichen 50 Hertz. Wenn das System ausfällt, muß ein Dieselgenerator herhalten. Für die Wartung des Dampfkessels, der die Waschmaschinen betreibt, herrschen DDR -Sicherheitsvorschriften. Nicaraguaner, die für die Bedienung des komplizierten Geräts eingeschult werden, laufen nach dem Lehrgang regelmäßig zur Industrie über, wo sie als Facharbeiter besser bezahlt werden.

Ein westdeutscher Entwicklungsexperte hat das Bonmot vom „Heinrich-Lübke-Krankenhaus“ geprägt, denn der einstige Bundespräsident pflegte während der Jahre fortgeschrittener Senilität durch Afrika zu reisen und dort deutsche Spitäler zu verschenken, ohne die geringste Rücksicht auf die klimatischen und technologischen Verhältnisse des jeweiligen Landes zu nehmen. Dr.Kurt Lobodasch, der medizinische Direktor des Hospitals, findet derartige Kritik ungerecht: „Es bestand damals die Notwendigkeit, so schnell wie möglich zu handeln.“ Daher sei es das einfachste gewesen, die vorhandene Technologie zu übertragen. Man müsse auch die Vorteile sehen: „Das technische Funktionieren ist reibungslos.“ Anders als bei anderen Krankenhäusern Nicaraguas, wo medizinisches Gerät aus verschiedenen Ländern und Generationen zusammengewürfelt wurde, bestehen keine Wartungsprobleme.

Dennoch kann an eine Übergabe erst gedacht werden, wenn die Betriebskosten deutlich gesenkt werden. Dr.Lobodasch findet zwar die angepaßte Technologie des von medico international finanzierten Krankenhauses von San Carlos hochinteressant. Doch hält er eine Übertragung derartiger Technologien auf das Großprojekt Carlos Marx für zu aufwendig: „Die Idee des Betriebs durch Solarenergie ist zwar bestechend aber zu teuer.“ Dr.Lobodasch gehört nicht zu denjenigen, denen vor allem die Umbenennung des Krankenhauses am Herzen liegt. In seinem Arbeitszimmer prangt ein Ölporträt Marxens, gespendet vom DDR-Maler Thomas Ziegler, und eine hölzerne Büste des rauschebärtigen Philosophen, die ein nicaraguanischer Kunststudent als Examensarbeit geschnitzt hat. Auch für den noch in Managua residierenden DDR-Botschafter Matthias Dietrich sind die neuen Verhältnisse zu Hause schwer verdaulich. Er möchte nicht von einer „Übernahme“ des Projektes durch die BRD sprechen, sondern hofft auf Finanzierung durch mehrere Staaten. Angesichts der beschleunigten Vereinigung wird wohl an einer vollen Finanzierung durch das neue Deutschland kein Weg vorbeiführen. „Die DDR, solange es sie noch gibt, wird das Personal stellen und die Sachwerte liefern, die Bundesrepublik wird zahlen.“ Eine völlige Übergabe an Nicaragua hält Botschafter Dietrich vor 1994 nicht für realistisch. Das Verhältnis von nicaraguanischem zu ostdeutschem Fachpersonal hat sich jedoch seit 1985 zunehmend zugunsten der Einheimischen verschoben. Solange es keine brauchbaren Vorschläge zur Kostensenkung gibt, wird Warnke wohl in Zukunft die vollen Betriebskosten übernehmen. Gegenüber den 500 Millionen DM, mit denen Nicaragua bei der DDR in der Kreide steht, die das BMZ jetzt nolens volens auf seiner Habenseite verbuchen muß, fällt das sowieso kaum ins Gewicht.

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