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Helmut Kohl vertreibt den Krieg

■ Die DDR-Volkskammer und der BRD-Bundestag beschließen Staatsvertrag und Polen-Erklärung: Klarheit für Währungsunion und Oder-Neiße-Linie

Bonn/Berlin (dpa/taz) - Bundestag und Volkskammer haben am Donnerstag in ihren Schlußberatungen über den deutsch -deutschen Staatsvertrag den Startschuß für die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli gegeben.

Während am Nachmittag in der Volkskammer bereits das Ergebnis zum Staatsvertrag mit 302 Abgeordneten bei 82 Nein -Stimmen - für die Zustimmung war eine Zwei-Drittel-Mehrheit von 267 erforderlich - bekanntgegeben wurde, debattierte man im Bundestag noch heftig über den Staatsvertrag, die Folgen für die Menschen in der DDR und in der Bundesrepublik und die nächsten Schritte der Vereinigung. Aber auch im Bundestag zeichnete sich trotz der einschränkenden Forderungen des SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine bis auf eine kleine SPD-Gruppe und die Grünen eine überwältigende Mehrheit ab.

Klarheit schafften Bundestag und Volkskammer aber nicht nur für die DDR-Bürger - zum Beispiel über die unmittelbar bevorstehende Einführung der D-Mark und über die Eingliederung in die soziale Marktwirtschaft -, sondern auch in der Frage der polnischen Westgrenze: In einer gemeinsamen Entschließung, die am Vormittag von der Volkskammer mit 376 gegen sechs Stimmen der DSU angenommen wurde und die im Bundestag ebenfalls am Abend zur Abstimmung stand, erkennen beide Teile Deutschlands die Oder-Neiße-Linie als endgültige Westgrenze Polens an. Während es dazu in Berlin zu keiner Aussprache kam, wurde dieser Schritt in Bonn allgemein als Beitrag zum Frieden und von der SPD und den Grünen darüber hinaus als überfällig gewertet. Im Bundestag hatten die Beratungen mit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl begonnen. Dabei kündigte er an, daß sich der Westen dem Osten weiter öffnen solle und er die Beziehungen Deutschlands zu Polen und zur Sowjetunion auf eine neue vertragliche Grundlage stellen wolle. Die endgültige Anerkennung der polnischen Westgrenze solle nach der deutschen Vereinigung völkerrechtlich in einem Vertrag abgesichert werden. Eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre sei, „die Sowjetunion mehr und mehr in die Gestaltung der europäischen Zukunft einzubeziehen politisch, in Fragen der Sicherheit, ökonomisch und kulturell“.

Er habe die westlichen Partner schriftlich gebeten, bei den anstehenden Gipfeltreffen der EG und der westlichen Industrienationen über wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Hilfe für die Sowjetunion und die anderen Staaten Osteuropas zu beraten, sagte Kohl. Präsident Michail Gorbatschow habe ihm in diesen Tagen mitgeteilt, daß die außenpolitische Klärung der deutschen Einheit über die Alliierten „zeitgerecht“ - also bis zur KSZE-Sonderkonferenz im November - erfolgen könne.

Mit dem Staatsvertrag wird zum 1. Juli nicht nur die D-Mark auf DDR-Gebiet als alleiniges Zahlungsmittel eingeführt, werden nicht nur Löhne und Guthaben getauscht, sondern vor allem die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die DDR wirtschaftlich und sozial unter Berücksichtigung des Umweltschutzes auf die Beine kommt. Die Volkskammer setzte bereits nach der Zustimmung zum Staatsvertrag ihre Beratungen fort, um die mehr als hundert Gesetze und Verordnungen umzusetzen.

Der Staatsvertrag war in der Volkskammer bis zuletzt umstritten: Auch bei der abschließenden Beratung des Vertragswerks standen sich die Fraktionen unversöhnlich gegenüber. Der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi nannte den Staatsvertrag verfassungsrechtlich bedenklich und äußerte die Befürchtung einer Massenarbeitslosigkeit für die Zeit nach der Währungsunion. Dagegen sieht der CDU -Fraktionsvorsitzende Günther Krause in dem Abkommen ein „Fundament für die Umwandlung der sozialistischen Kommandowirtschaft hin zu modernen wirtschaftlichen Strukturen“. Die SPD erklärte, es werde schwierig aber möglich sein, die Wirtschaftsunion zu vollziehen.

Einig waren sich die Politiker von PDS bis DSU lediglich darin, daß das Vertragswerk ein bedeutender Schritt zur Einheit Deutschlands sei.

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