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■ KUNSTLICHTKUNSTLICHTKUNSTLICHTKUNST
Afterphilosophisches aus der Wohnmaschine, Begreifen lernen in der Sparkasse
Fünf DDR-KünstlerInnen in der Galerie des Westens / Eine
Ausstellung, in der Blinde den Sehenden etwas voraus haben, in der Sparkasse am Brill
In einer engen Zweizimmerwohnung in der nochostberliner Tucholskystraße muß es ungefähr so aussehen: Zwischen Glotze und Ohrensessel steht ein grobhölzerner Kerl mit Axt, neben dem Kühlschrank hängt ein überladenes Wandobjekt, an der Musiktruhe lehnen Siebdrucke, und dawischen drücken sich Michi und Friedrich herum, denn die wohnen da und sind zugleich GaleristInnen: Seit '88 existiert die Wohnmaschine, was die privateste Form einer Privatgalerie ist, und bringt Ungestümes und Ungezähmtes aus DDR's Kunstszene. Die Galerie des Westens zeigt jetzt Exemplarisches aus der letzten Zeit der „Wohnmaschine“ mit Arbeiten von fünf KünstlerInnen. taz-LeserInnen bekannt dürfte der Karikaturist und Cartoonist Holger Fickelscherer sein, der so manche taz-Seite schönte. Seine scharf konturierten farbigen Flächen, der präzise, knappe Strich, die an George Grosz erinnernden Köpfe weisen ihn als Routinier aus, der sich Zeit nimmt. Außerdem ist er witzig, auf eine afterphilosophische Art: Ein frisches Brautpaar lehnt aus dem Fenster, unter dem die Verwandtschaft versammelt ist, und schwenkt stolz ein blutbeflecktes Laken, das zugleich die Fahne Nippons ist. Im Hintergrund schweigt der Berg.
Gisela Achterberg weist reiche Ausstellungserfahrung auf etwa im Bauernheideklub oder in der Schwimmhalle Allendetal. Sie baut „Materialcollagen“, Kisten voller Gedöns zu einem Thema wie „Eine wissenschaftlich begründete Gesellschaftsformation stirbt ... und Du kannst sagen, Du bist dabei gewesen“. Verstümmelte Marxismusliteratur plus Scherben plus Schlüssel plus Stacheldraht. Daniel Hillert als Oldie (Jg.54) zeigt spritzbunte Holzkerle, Gemälde voll Tiefschurf und Siebdrucke zum Thema „Fleiß und Industrie“, was, wie der Lateiner weiß, dasselbe ist. Neben den Ölexzessen des Stadtindianers Clemens Wallrot ist da noch der Robert Lippok, der Lümmel, dem der Ölschinken eines Freundes nicht gefiel, der drum drei (Köder?)-Fische draufklebte und das Opus als seins verkauft. Außerdem verarbeitete er den (bei ihm gescheiterten) Missionierungsversuch einer Amisekte, die vom Verkehrsunglück eines Liebespaares zu erzählen weiß, das vorbereitet vor den Herrgott tritt: Den Text hat Lippok mit einem in den Raum stehenden Autochen kombiniert. Hoch lebe die Wohnmaschine! (Reuterstr. 9-17, bis 10.Juli)
Was ließe sich in einer Sparkasse nicht alles begreifen (natürlich nur im Sinne von anfassen): Goldbarren, Bündel mit Tausendern, BASF-Aktien. In der Sparkasse am Brill soll dieser Tage begriffen werden, aber Kunst. Fachleute im handgreiflichen Begreifen sind Blinde, und für sie wurde die Skulpturenausstellung beim 23. Evangelischen Kirchentag in Berlin konzipiert. Die Sehenden mit ihrer haptischen Verkümmerung können da eine Menge lernen. Ich befingere Rolf Szymanskis „Schiffs-Leib III“, zwei bronzene Figuren auf Beton, ich spüre, Metall ist kühler als Beton, welcher hier glatter ist. Die Bronze ist hohl. Frau Anneliese Liebe, blind, schreibt im Katalog zwei Seiten über die Skulptur, was ihre Finger erzählen. Das ist spannend zu lesen, besonders ihr Interesse am Kontakt der Figuren mit dem Untergrund, am Gleichgewicht. Alle Objekte sind von Blinden beschrieben worden. Wenn ich lange genug an „Antonia“ von Joachim Schmettau gefingert habe, freue ich mich über das kühle glatte Neusilber, und bei Waldemar Ottos „Kleinem alten Mann zwischen Wänden“ beginnen meine Assoziationen zu fliegen und landen beim Hinterköpfchen meines Söhnchens. Anfassen ist sowieso was ganz Spezielles in der Kunst, Gerhard Marcks fühlt sich mit geschlossenen Augen ganz neu an: „Eirene“ hat so süße Zehen, und was noch ganz süß ist, sag‘ ich nicht. Vielleicht haben letzte Nacht die Putzfrauen auch mal rumgetastet, jedenfalls hat man sie in der Sparkasse im Verdacht, dem „Geschundenen“, einem wohlgeformten Gekreuzigten von Richard Heß, einen knallroten Häkeltanga über den Piephahn gezogen zu haben. (Bis 29.Juni; dem Katalog sind Plastikreliefs der Skulpturen begefügt, zum blinden Wiedererkennen). Bu
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