IM ZUGZWANG

■ Filmreihe „Frauen auf Reisen“ in der Landesbildstelle

Die Umgebung löst sich auf beim Reisen, verliert ihre Konturen. Eine Straße wird zur umgeworfenen Pyramide. Weit vorn ist sie spitz und da, wo ich sehe, breit. Nie hört die Straße auf, Pyramide zu sein. Die Bäume entlang der Straße oder entlang des Zugfensters verwischen; plötzlich sind deren Blätter so breit wie die Geschwindigkeit, mit der vorbeigefahren wird. Keine Korrektur ist möglich im Film. Auch Architektur bricht aus ihrem stabilen Gefüge; die Statik eines Wortes hält sie nicht mehr zusammen.

Das sind die einfachsten Beispiele aus Reisefilmen, die ohne Erklärungen auskommen. Es sind Reisefilme von Frauen, die durch die Konsequenz bestechen, mit der nichts festgehalten wird. Wer reist, spielt mit den Koordinaten, in die ein Leben eingebaut ist, und bewegt sich nicht maßgerecht durch Raum und Zeit.

Freak Orlando in Ulrike Ottingers Film hält sich an keine Jahreszahlen mehr, und Berlin ist nicht wiederzuerkennen. In Warte Liebe von Rosi S.M. beenden zwei Frauen ihre Liebesbeziehung in einem Autobahnhotel. Der Zustand des Übergangs von Liebe zu Nichtliebe, von Ankommen zu Weggehen unterscheidet sich kaum vom Zustand des Übergangs in Elfi Mikeschs Film Die blaue Distanz. In diesem Film ist es der Anfang der Begegnung, dem eine Bedeutung zukommt. Aber genau kann man es nicht sagen, weil die Bewegung von einem Zustand in den anderen viel wichtiger ist als das Ergebnis. Die Frauen, die in Ute Aurands Umweg in den Zügen sitzen und einmal in die schwarz-weiß gefilmte Fahrtrichtung und einmal in die farbig gefilmte Gegenfahrtrichtung sehen, spielen mit unterbrochenen Bildern und angefangenen Sätzen.

Ein anderer Film beginnt mit dem Tod eines Reisenden. Mona, die Wanderin in Agnes Vardas Film Vogelfrei, ist tot und wird im Film wieder lebendig. Dies geschieht nicht, weil Monas Leben eine Rechtfertigung gebraucht hätte, sondern weil damit gezeigt wird, daß ein Leben nur eine Möglichkeit von vielen ist. Dagegen entscheiden Marie und Marie, in Tausendschönchen, daß sie frei sind, nur um am Ende des Films als eine von vielen Möglichkeiten von einer „Kronleuchter-Atombombe“ erschlagen zu werden. Der Film ist all denjenigen gewidmet, die sich „über zertrampelten Salat aufregen“.

Filme sind ein Medium, mit dem sowohl ein Bild der Realität, eine Fiktion oder der Wunsch als auch die Interpretation der Realität abgebildet werden kann. Alle Filme, die in der Reihe gezeigt werden und von Frauen gedreht wurden, beschäftigen sich mit dem, was so leicht als „Loslassen“ bezeichnet werden kann. Das Ende der Liebe oder der Tod sind dabei nur eine Form des Übergangs. Anzukommen ist in keinem der Filme das Ziel - oder das Ende, nach dem der Abspann mit gutem Gewissen gezeigt werden kann.

In das Programm wurden auch Filme von Männern aufgenommen. Selbst wenn mit der begrenzten Auswahl kein repräsentativer Querschnitt gegeben werden kann, fällt doch auf, daß in Filmen von Regisseuren, in denen Reisen als Voraussetzung der Handlung von Bedeutung ist, die Zeit- und Raumstrukturen stärker kontrolliert werden. Das Ankommen an sich ist nicht unbedingt wichtiger, aber das Thema des Films ist erst dann aufgelöst, wenn ein Ankommen der fiktiven Personen möglich ist. In Alain Tanners Die Rückkehr aus Afrika ist das Ankommen sogar Thema, obwohl gar nicht abgereist wird.

Die Filmreihe „Frauen auf Reisen“ wurde von der Initiative für ein kommunales Kino für Frauen organisiert. Da es dieses Kino noch nicht gibt, wandern seine Initiatorinnen als Nomadinnen von einem Vorführort zum anderen. Die Reisefilme werden im Kinosaal der Landesbildstelle gezeigt, an einem Ort, der leicht wieder verlassen werden kann.

Waltraud Schwab

Die Filmreihe läuft noch bis zum 29.Juli. Genaues Tagesprogramm siehe La Vie. Der Eintritt ist frei.