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Homosexualität

■ betr.: "Die Metamorphosen des 175er", taz vom 9.6.90

betr.: „Die Metamorphose des 175er“, taz vom 9.6.90

Da wird in einem Artikel, der ja einen fundierten Hintergrundbericht zum Thema Strafbarkeit von Homosexualität darstellen soll, doch in der herrschenden, ignoranten Art und Weise über die Existenz und Bedeutung der Lesben hinweggesehen.

Wenn es sich historisch nun gar nicht mehr vermeiden läßt, nimmt auch C.Brandt mal für kurze Momente zur Kenntnis, daß Homosexualität nicht das gleiche ist wie schwuler Sex. Heraus kommen dann so tiefsinnige Thesen wie: „Bei der Neufassung (des § 175 StGB, ehemals § 143 preußisches Strafgesetzbuch, 1871, A.S.) war im Eifer durch die Formulierung (unbeabsichtigt) nur die männliche Homosexualität erfaßt.“

Entschuldigt, aber so einen gefährlichen Blödsinn über einen gesellschaftspolitischen Vorgang in einer links -alternativen Tageszeitung verzapfen zu können, ist eine Ungeheuerlichkeit. Schließlich war Homosexualität von 1532 an in den deutschen Ländern für Frauen und Männer mit der Todesstrafe bedroht. Erst der § 175 StGB von 1871 bezog sich länderübergreifend nur auf männliche Homosexualität. Daß der § 175 StGB im Zuge der Strafrechtsreform (Entwurf) 1909 (und nicht 1924 wie C.Brandt behauptet) auf Frauen ausgeweitet werden sollte, ist wohl seiner Meinung nach noch so ein Zufall.

Tatsächlich ist der Ausschluß der Lesben von der direkten Strafverfolgung mit Hilfe des § 175 StGB Ausdruck der Leugnung einer eigenständigen weiblichen Sexualität, die sich eben nicht auf Männer bezieht. Konkret ist diese Einstellung noch in einem Bundesverfassungsgerichtsentscheid von 1957 nachzulesen, in dem Frauen eine von Natur aus vorhandene geringe Sexualitätsneigung diagnostiziert wird, was ihre Straffreiheit begründe. Dieser Ausschluß, so günstig er auch für die konkrete Lebenssituation von Lesben war und ist, ist eben kein Zufall, sondern Bestandteil einer Ideologie, die Frauen überhaupt nur in Relation/Abhängigkeit zu Männern wahrnimmt. Zum Beispiel kann die 1909 geplante Ausdehnung des § 175 StGB auf Frauen als Versuch gewertet werden, die beginnende Loslösung von Frauen aus familiären Bindungen durch Erwerbstätigkeit und den so entstandenen lesbischen und nichtlesbischen Lebensgemeinschaften mit dem Damoklesschwert der Strafbarkeit zu drohen.

Mit seiner Schlampigkeit in der historischen Darstellung und seiner schwulen/männlichen Blindheit in der sozialhistorischen Interpretation leistet C.Brandt einen aktuellen Beitrag zur Leugnung und Unterdrückung weiblicher Existenz.

Anke Scheiber, Berlin

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