: BRDDR geht - Deutschland kommt
■ Schlußberatungen der Parlamente in der BRD und der DDR zum Staatsvertrag und zur Anerkennung der polnischen Westgrenze Kohl: Anerkennung der Grenze nur gegen ungestörte Wiedervereinigung / Volkskammer: 302 Ja-, 82 Nein-Stimmen für den Vertrag
Bonn/Berlin (taz) - Während gestern nachmittag die Volkskammerabgeordneten den Staatsvertrag bereits ratifiziert und die Polen-Erklärung verabschiedet hatten, wurde im Bundestag noch heftig debattiert. Um die „Chance zur deutschen Einheit nicht zu verspielen“, hatte Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung gefordert, daß die Westgrenze Polens endgültig anerkannt werden müsse. In der Parlamentsdebatte über Staatsvertrag, Vereinigung und deutsch- polnische Beziehungen rief der Bundeskanzler die Bonner Abgeordneten dazu auf, für die geplante gemeinsame Entschließung von Bundestag und Volkskammer zur endgültigen Anerkennung der Grenze zu stimmen. Diese Abstimmung sowie die über den deutsch-deutschen Staatsvertrag sollte erst am Abend erfolgen. Allerdings stand die Zustimmung schon im Vorfeld außer Zweifel.
Die Oder-Neiße-Linie muß als Westgrenze Polens anerkannt werden, damit Bundesrepublik und DDR sich vereinigen können. Diese Argumentation zog sich durch die ganze Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Über die Hälfte seines Plädoyers widmete Bundeskanzler Kohl den Vetriebenenverbänden, die gegen eine Anerkennung sind. Immer wieder und ausführlich bekundete er sein Mitgefühl mit „dem schweren Schicksal dieser Menschen“. In langen Abschnitten bat er wiederholt um ihr Verständnis für diese „notwendige Entscheidung“. Auf die Verbrechen der Nazi-Deutschen an den Polen ging der Bundeskanzler hingegen nur ganz kurz ein.
Helmut Kohl beschwor die Parlamentarier überdies, dem Staatsvertrag mit der DDR zuzustimmen. Seine Begründung: Er biete die Chance auf eine „rasche, durchgreifende Besserung“ der Lebensbedingungen der Menschen in der DDR. Sein Hinauszögern würde den Zusammenbruch der DDR fördern. Den DDR-Bürgern prognostizierte er „neue und ungewohnte Lebensbedingungen“ im Zuge der Wirtschafts- und Währungsunion. Allerdings würden dabei „niemandem unbillige Härten zugemutet.“ Und: „Es wird niemandem schlechter gehen als vorher, dafür vielen besser.“
SPD-Chef Hans-Jochen Vogel versuchte mit seiner Rede jeden möglichen Zweifel daran auszuräumen, daß die Sozialdemokraten die Einheit wollen. Immer wieder bekannte er sich zur Wiedervereinigung und nutzte jede Gelegenheit, seine Partei von der PDS abzugrenzen.
Daß die SPD dem Staatsvertrag trotz teilweise erheblicher Bedenken mehrheitlich zustimmen wird, begründete er wiederholt so: Ein Scheitern würde „unkontrollierbare Entwicklungen in Gang setzen“. 24 SPD-Abgeordnete hatten angekündigt, gegen den Staatsvertrag zu stimmen, da er der DDR-Wirtschaft eine „Schocktherapie“ verordne.
Die DDR-Volkskammer hat den deutsch-deutschen Staatsvertrag ratifiziert und die Erklärung zur Anerkennung der polnischen Westgrenze verabschiedet. Mit 302 Ja-Stimmen gegen 82 Nein -Stimmen und eine Enthaltung wurde am Nachmittag in namentlicher Abstimmung der Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen den beiden deutschen Staaten gebilligt.
Gegen den Staatsvertrag stimmten die Fraktionen der PDS und des Bündnis 90/Grüne. Der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi begründete seine Ablehnung damit, daß der Vertragsentwurf „verfassungsrechtlich bedenklich, wirtschaftspolitisch und sozial völlig unausgewogen und zum Teil oberflächlich ist und praktisch unter Ausschaltung der jeweiligen Bevölkerung zustande kam“. Der Abgeordnete des Bündnis 90/Grüne, Hans -Jochen Tschiche, kritisierte das Tempo des Einigungsprozesses: „Wir haben keine Möglichkeit gehabt, unsere Träume vom Herbst zu verwirklichen.“
Bereits gestern hat der stellvertretende polnische Regierungssprecher Henryk Wozniakowski die Polen-Erklärung der beiden deutschen Parlamente „mit großer Zufriedenheit“ begrüßt. Er betonte aber, daß die Regierung in Warschau eine vertragliche Bestätigung der Grenze an der Oder und Neiße erwarte.
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