: Reglementierung der freien Pädagogik
■ Verordnungsentwurf des Bildungsministeriums über freie Kindergärten und Schulen beendet allzu optimistische Hoffnungen aus der Zeit des Umbruchs / Paragraph zur Genehmigungsvoraussetzung aus dem Westen übernommen / Vorrang für staatliche Schule soll bleiben
Berlin (taz) - Die Zulassung unterschiedlicher Schultypen war eine Forderung des am 5. März 1990 verabschiedeten Positionspapiers des Zentralen Runden Tischs zu Bildung, Erziehung, Jugend. Damit sollte die Möglichkeit eröffnet werden, nach der jahrzehntelangen, lückenlosen Reglementierung des gesamten Bildungswesens durch das SED -Regime in Zukunft auch Schulen und Kindergärten in freier Trägerschaft gleichberechtigt neben den staatlichen Schulen zu etablieren. Mit der „Verordnung über Kindergärten und Schulen in freier Trägerschaft“, deren Entwurf vom 21.5.90 der 'tageszeitung‘ vorliegt, sollen ab 1.9.1990 gesetzliche Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Skepsis, ob es in der DDR nach der Wende zu einem bildungspolitischen Frühling kommt, ist angebracht.
Nach Einschätzung von Professor J. P. Vogel, Justitiar der Westberliner Arbeitsgemeinschaft „Schulen in freier Trägerschaft“, legt das DDR-Bildungsministerium in diesem Entwurf Regelungen vor, „die aus der Bundesrepublik übernommen sind, wobei die restriktiven Regelungen bevorzugt worden sind“.
Die ursprünglich in den „Thesen zur Bildungsreform“ programmierte Vielfalt gleichrangiger Schulen in staatlicher und freier Trägerschaft wird nicht eingelöst; es bleibt deutlich beim Vorrang der staatlichen Schule und ihrer Verhältnisse. Der Entwurf des Bildungsministeriums ersetzt zwar den diskriminierenden, in der Bundesrepublik gebrauchten Begriff der „Privatschule“ durch die neutrale Bezeichnung „Schule in freier Trägerschaft“. Doch an der Dominanz der staatlichen Schulen läßt die im Entwurf gebrauchte Klassifizierung als „Ersatzschule“ keinen Zweifel. „Ersatzschulen“, heißt es da, „sind Schulen in freier Trägerschaft, wenn sie mit ihren Lehr- und Erziehungzielen den staatlichen Schulen entsprechen.“ Lediglich in den Lehr- und Erziehungsmethoden und in den Lehrstoffen sind, laut Entwurf, „Abweichungen zu denen an staatlichen Schulen möglich“.
Der vorliegende Entwurf sieht vor, dem Träger des Kindergartens oder der Ersatzschule für die Zeit von der Eröffnung der Einrichtung bis zu ihrem vollständigen Aufbau eine vorläufige Genehmigung zu erteilen. Diese kann mit „Auflagen zur Ausprägung der Genehmigungsvoraussetzungen verbunden werden“. Nach Abschluß des Aufbaus des Kindergartens in freier Trägerschaft beziehungsweise der Ersatzschule soll über die Genehmigung endgültig entschieden werden. Bei Ersatzschulen, die nicht nur eine Schulstufe umfassen, kann die Genehmigung zunächst allein für die unteren Schulstufen erteilt werden, nachdem der erste Schülerjahrgang diese durchlaufen hat. Die Formulierungen, die das Genehmigungsverfahren betreffen, sind derart allgemein gehalten, daß sie sowohl eine liberale als auch eine restriktive Auslegung zulassen: „Genehmigten Ersatzschulen, die nach ihrem vollständigen Aufbau nachweisen, daß sie andauernd die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllen, nach den Bestimmungen und Lehrplänen der staatlichen Schulen mindestens gleichwertig sind, kann durch den zuständigen Minister auf Antrag der Schulen der Status einer anerkannten Ersatzschule verliehen werden. Ihre Zeugnisse werden uneingeschränkt anerkannt.“ Professor Vogel dazu: „Es handelt sich um die Übernahme einer Regelung des Privatschulgesetzes von West -Berlin, die in dieser Form einzigartig im Bundesgebiet ist und mit großer Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig wäre.“
Der vorliegende Entwurf einer „Verordnung über Kindergärten und Schulen in freier Trägerschaft“ stellt nach übereinstimmender Auffassung der Leipziger Arbeitsgemeinschaft „Freie Pädagogik“, des Aktionsbündnisses Bildungs- und Erziehungsreform und der Bürgerinitiative „Freie Schulen Berlin“ den Versuch dar, gegenüber schon bestehenden und sich anbahnenden freien Kindergärten und Schulen in der DDR vollendete Tatsachen zu schaffen, die auf eine Reglementierung dieser Initiativen hinauslaufen.
Michael Wendt
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