Berlin: Das Ende der Besatzung naht

■ Eduard Schewardnadse unterbreitet sowjetischen Vorschlag zum alliierten Truppenabzug und zur Aufhebung des Sonderstatus‘ der Stadt Vier-plus-zwei Treffen beim Abbruch des Checkpoint Charlie und in Schloß Niederschönhausen / Genscher lehnt Übergansregelungen ab

Berlin (ap/taz) - Das Ende der Oberhoheit der vier Siegermächte über Berlin und die volle Souveränität Deutschlands ist in Sicht. 45 Jahre lang übten die Allierten die oberste Gewalt in Berlin aus - jetzt hat die Sowjetunion vorgeschlagen, binnen eines halben Jahres nach der Vereinigung Deutschlands die Militärkontingente der USA, Frankreichs, Großbritanniens und der UdSSR abzuziehen. Gleichzeitig sollen die Besatzungsbestimmungen über den Sonderstatus der Stadt aufgehoben werden.

Der sowjetische Außenminister Schewardnadse machte diesen Vorschlag gestern, als er mit seinen alliierten und deutschen Amtskollegen die letzte Stunde des alliierten Checkpoint Charlie feierte. Er wolle einen entsprechenden Dokumententwurf, der eine „abschließende völkerrechtliche Regelung mit Deutschland“ zum Ziel habe, bei den Vier-plus -zwei Verhandlungen am selben Tag in Ost-Berlin vorlegen, kündigte Schewardnadse an.

Nach seinem Zeitplan soll bei der dritten Ministerrunde der Vier-plus-zwei-Gespräche am 17. Juli in Paris das Grundkonzept für die Schlußerklärung vorliegen. Das Dokument selbst müsse schon auf der vierten Sitzung Anfang September in Moskau endgültig verabschiedet werden.

Die in der Grundsatzrede des sowjetischen Außenministers erwähnten Übergangsfristen für verschiedene Regelungen wurden allerdings gestern gleich ebenso grundsätzlich zurückgewiesen. Bei dem Treffen der beiden deutschen und der alliierten Außenminister im Schloß Niederschönhausen erklärte Genscher, daß mit der deutschen Einheit auch die volle Souveränität hergestellt werden müsse. US -Außenminister James Baker und sein britischer Amtskollege Douglas Hurd unterstützten diese Position. Genscher bezeichnete Übergangsfristen als „nicht angemessen“, Abwicklungsfristen hingegen als möglich. Darunter seien zeitlich begrenzte und fest vereinbarte Erfüllungstermine zu verstehen, die keine Einschränkung der Souveränität bedeuten würden.

Die sowjetischen Hauptsorgen richteten sich am Freitag erneut auf die militärische Stärke eines künftigen vereinigten Deutschlands. Wie verlautete, sieht der Plan Schewardnadses eine Obergrenze von 200.000 Mann für Gesamtdeutschland vor. Das Tempo der innerdeutschen Prozesse hat sich nun auch auf die Vier-plus-zwei-Gespräche übertragen. Baker sprach in Ost-Berlin vom deutschen Vereinigungsprozeß, der sich „auf der Überholfahrbahn“ befände. Der amerikanische Außenminister hatte am Vorabend der Ministerkonferenz bereits die Vorbereitung des Schlußdokuments als Hauptthema bezeichnet.

Deutliche Unterschiede zum Westen wurden erneut in verschiedenen Erklärungen des Gastgebers Markus Meckel im Schloß Niederschönhausen deutlich. Im Gegensatz zu Genscher erwartete Meckel eine Diskussion der Bündnisfrage. Nach Ansicht amerikanischer Diplomaten ist dieses Problem inzwischen zu einer Frage zwischen den beiden Supermächten geschrumpft, während die deutschen Prozesse darüber hinwegzugehen drohten. Meckel hatte sich auch für eine gemeinsame Gipfelkonferenz der beiden großen Militärblöcke noch vor dem November-Gipfel der KSZE eingesetzt. Baker wies den Vorschlag zurück. Der DDR-Außenminister hofft auch nach wie vor auf Übergangsfristen. Tagesthema Seite 3