piwik no script img

EINSAME TÄNZE

■ „Blut am Hals der Katze“ am BAT in einer Inszenierung von Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“

Fassbinder meinte einmal, daß man rauskriegen müßte, warum die Menschen auf die Dauer trotz guter Verhältnisse nicht das Vermögen haben, glücklich zu sein. Mit dem 1971 geschriebenen Stück Blut am Hals der Katze, ursprünglich Marilyn Monroe contre les vampires, geht er diesem Gedanken nach. Die außerirdische Phoebe Zeitgeist kommt auf die Erde, um die menschlichen Verhaltensweisen und Kommunikationsregeln kennenzulernen. Die Menschen, die sie anfänglich nur beobachtet, erzählen von ihrer Einsamkeit und ihren Ängsten, hassen sich, gieren nach Liebe, sprechen in abgedroschenen Worthülsen miteinander, ohne sich zu verstehen.

Phoebe eignet sich die Sprache der Menschen an, ihr Problem dabei ist: Sie versteht die Worte nicht. Sie spricht und ahmt die Gesten nach, ohne deren Bedeutung zu kennen. Ihre Sprechversuche rufen bei den Menschen Unverständnis und Aggressionen hervor, die aus der Angst vor dem Nicht -Normalen resultieren. Und so greift Phoebe zu eigenwilligen Ausdrucksmitteln: Sie verwandelt sich in einen Vampir und beißt zu. Vielleicht infiziert der Vampir die Menschen mit einem geheimnisvollen Virus, denn die Gebissenen verfallen in Sprachlosigkeit und Gestammel.

Die Figuren sind Demonstrationsmodelle der Fassbinderschen Sprachkritik. Mit ihnen führt er vor, wie die Sprache als Mittel der Selbstinszenierung, der Lebenslüge, der Nicht -Kommunikation funktioniert. Die beiden regieführenden Studenten Horst-J. Lonius und Sven Schlötcke haben den modellhaften Figuren, die von Schauspielstudenten des dritten Studienjahres der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ dargestellt werden, viel Leben eingehaucht. Die Darsteller agieren in einem eisfarbenen Raum, dessen Ballustraden Marmor imitieren (Bühne: Christian Beck/ Ines Hertel, Szenografiestudenten der Kunsthochschule Berlin). In einem stetigen, genau choreografierten Bewegungsfluß wechseln sie ihre Positionen zu immer neuen Arrangements. Sie bewegen sich langsam und mit stilisierter Körpersprache, die manchmal in einsame Tänze übergeht oder kurzzeitig von exzessiven körperlichen Ausbrüchen unterbrochen wird. Kühle, ausdrucksvolle Bilder entstehen, beispielsweise wenn Phoebe (Anka Baier) aus einer magischen Säule hervortritt, im Licht des über sie hinwegschwebenden Gebildes steht, und minutenlang, begleitet vom lärmenden Vorrücken der Zeiger einer Uhr, nur schaut. Mit Selbstironie wird die Entfaltung des Bildes abgebrochen. Schauspieler in der ersten Zuschauerreihe fangen gelangweilt an zu gähnen, räuspern sich und beginnen Geschichten zu erzählen. Die Figuren haben ein enormes Mitteilungsbedürfnis und wenden sich schließlich ans Publikum.

Schlötcke und Lonius lassen ihre Darsteller Sprachklischees ad absurbum führen. So etwa wenn Kay Schulze als Der Lehrer über die Bedeutung der Dichter und der Werkanalyse als Mittel der gesellschaftlichen Reproduktion doziert und dabei in eine sich steigernde Wiederholung verfällt, die von zunehmend wilder werdenden Gesten begleitet wird. Fassbinders Sprachkritik wird tranparent: Die Sprache hält den Sprechenden gefangen und wird ihm immer fremder.

Grundthema der Vorlage sind die Ängste und Wünsche des Einzelnen in einer kalten Welt: Das Modell (Kathie Liers) streichelt zärtlich über ihren Bauch, gleitet, mit lasziven Handbewegungen an den Nähten ihres roten Samtkleides entlang, erzählt fast schüchtern von ihrer Liebe zu sich selbst. Mit aufreizendem Hüftkreisen singt Das Mädchen (Nadja Saleh) sehnsüchtig einen Elvis-Song. Die Figuren ziehen sich an, wenn sie Liebe begehren, stoßen sich brutal ab, wenn sie des anderen überdrüssig sind. Eifersucht, Ehekrisen, alltägliche Brutalität, die im affektiven Mord eines zeitungslesenden Mannes (Thomas Nicolai) an seiner schreienden Frau gipfelt.

Die Befindlichkeiten der Figuren, ihre existentiellen Nöte werden auf eindringliche und ernsthafte Weise, ohne zu moralisieren, in Szene gesetzt. Sie werden meist komisch gebrochen durch die extremen Situationen, in denen die Schauspieler agieren: Während Die Frau des toten Soldaten (Margret Tasch-Van Empel) auf die Schultern ihres Mannes (Sebastian Reusse) steigt, machen sie sich Gedanken über ihre Vermögenslage. Das Modell und Die Geliebte (Ina Köhler -Teltau) spucken auf ihre Schuhe, um sie zu putzen, und ab und zu gegenseitig in ihre Gesicher, dann streiten sie darüber, wessen Mann das meiste Geld verdient.

Die Qualität der Inszenierung liegt wohl in einem subtil herausgearbeiteten Schwebezustand zwischen Künstlichkeit und Realismus. Sie nutzt sensibel die persönliche Ausstrahlung der Darsteller und entwickelt eine präzise Körpersprache, die die Unglückszusammenhänge des einzelnen versinnlicht.

Katka Bischof

„Blut am Hals der Katze“ wird erst wieder im September aufgeführt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen